Dein Foto hat die Jury begeistert

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Die Teilnahme an einem Fotowettbewerb stellt für mich eine außergewöhnliche Abweichung vom Normalzustand dar.

Und doch habe ich genau das getan: ich habe ein Bild eingesendet1.

Das Motto der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)“ für das Jahr 2023 ist #WatchOutHstry, das Motto des Fotowettbewerbs lautete „Unknown Stories of NS Persecution“. Und ich hatte den Eindruck: hier kann ich etwas beitragen. Ich kann bereichern. Ich kann den Finger auf eine der „Leerstellen“ legen, vielleicht Interesse wecken, vielleicht zum Nachfragen anregen. Denn das „Geisterdorf“ Ban-Saint-Jean – Stalag XII G Johannis-Bannberg-Bolchen – ist ein Thema, das mich schon seit vielen Jahren umtreibt.

Ich habe mir fest vorgenommen, dem Lager demnächst mal einen separaten Artikel zu widmen - auch wenn es sehr schwierig ist, wirklich zuverlässige Informationen und belastbare Quellen zu finden. Eindeutig hingegen sind die Berichte von 204 Massengräbern und insgesamt mehr als 20.000 - überwiegend sowjetischen - Opfern. Deren genaue Zahl und Identität bleiben weitestgehend ungeklärt.

Wie auch die Frage: was genau ist dort eigentlich geschehen? Für mich ist nicht zu fassen, dass das nicht so recht aufgearbeitet wurde, dass die Hinterbliebenen niemals Antworten auf ihre Fragen erhalten haben. Während an so vielen anderen Stellen Gedenkstätten errichtet wurden, handelt es sich hier um - über viele Jahre hinweg militärisches – Sperrgebiet. Nicht zum ersten Mal ist im Gespräch, das Gelände einzuebnen.

Kurzum: ich befand, mein Bild sei an dieser Stelle genau richtig. Und mehr noch: die Jury befand das ebenfalls, ich habe nämlich den 2. Platz gemacht! Ich war sehr von den Socken, als ich die Nachricht erhielt – auch davon, dass ich ein Preisgeld erhalten würde. Das hatte ich in meinem dokumentatorischen Eifer nämlich glatt übersehen 🙄😂

Die Ruinen von Ban-Saint-Jean

„Die Ruinen von Ban-Saint-Jean“

Die begründete Freude darüber bringt eine gehörige Portion Salz in die noch frischen Wunden mit sich. Und die beiden Nachrichten „dein Foto ist in der engeren Auswahl“ und „du hast gewonnen“ zogen mir für mehrere Tage komplett den Boden unter den Füßen heraus.

Denn mir ist nur zu bewusst, dass ich ohne meinen Papa vermutlich nie so fotografiert hätte, wie ich es heute tue. Er hat mir meine erste Kamera, eine Porst 126 Sport mit Blitzwürfelchen (!), geschenkt – da war ich knapp vier. Er hat mich als Jugendliche seine gute Spiegelreflex nutzen lassen, ganz ohne Belehrungen, und ich hab sie behütet. Er war fürchterlich genervt ob meiner Rückwärtsgewandtheit – hatte keinerlei Verständnis dafür, dass ich so lange noch analog und mit Filmen hantierte. Er selbst war längst digital unterwegs; und wir zankten darüber, bis ich es schließlich auch war. Genau so, wie er später dann bei dem Thema „Drohne“ keine Ausreden duldete.

Ich würde es ihm so gerne erzählen: mein Foto hat die Jury begeistert! Es hat den zweiten Platz gemacht! Doch nun ist er meine „Leerstelle“; ich kann nur noch mit Platzhaltern reden, aber nicht mehr mit ihm. Müsste diese Erkenntnis nicht sacken, so mit der Zeit? Dieses „ich kann es ihm nicht erzählen“ schlägt auf mich ein, immer wieder – und so viel schlimmer, als ich es je vermutet hätte.

Mit ihm habe ich, unter anderem, meinen Lehrmeister verloren, einen Vorreiter, den wahren Enthusiasten. Ihm widme ich den Preis, diesen Artikel, das Artikelbild – das erste Foto, das ich in meinem Leben selbst gemacht habe: mein Gartenzwerg, aufgenommen mit der klitzekleinen Porst mit dem orangefarbenen Auslöser auf dem Balkon unserer Mietwohnung. Im Hintergrund etwas, das heute Weltkulturerbe ist. Damit hat alles angefangen, damals.

Und das tut genauso weh, wie es wunderbar ist.

  1. Liebe #tvgn-Gurken: danke. Danke. Danke. Danke 🥰 ↩︎

Alle Bilder dieser Seite: © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
Hintergrundbild: Das erste Foto in meinem Leben, dass ich selbst gemacht habe - mein Gartenzwerg, Analogaufnahme, 1984, 1500x 1000px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten

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