Eigentlich wollte ich mich der Aktion Rotes Kleid anschließen, so der ursprüngliche Plan. Was initial daran scheiterte, dass mir kein Schnittmuster gut genug war 😇 „Marilyn Dress“ war dann jedoch sofort nach Entdeckung ein Fall von „habenmuss“ (auch wenn ich bei £35.00 erstmal geschluckt hab, aber es sind ja auch mehrere Schnitte und Größen). Für Größenermittlung und Beschaffung des Materials habe ich mir Zeit gelassen, um keine unnötigen Fehler zu machen: Körpermaße und die des fertigen Kleidungsstücks gibt SOI nämlich in Inches an, die benötigte Stoffmenge in Metern, die benötigten Einlagen in Zentimetern und den Reißverschluss wieder in Inches.
Nähen ließ es sich extrem gut: die englische Anleitung ist detailliert und schematisch bebildert, allerdings nichts für Feiglinge – gerade der Kragen muss schon sehr sauber gearbeitet werden. Meine Kombination von Stoff und Einlage stellte sich als etwas zu steif heraus, da bin ich nächstes Mal klüger. Genäht habe ich mit rotem Faden: so konnte ich so die Nähte auf dem ungefärbten Nessel leichter kontrollieren. Aber es war halt auch von Anfang an klar, dass ich das fertige Machwerk rot einfärben wollen würde – und Polyestergarn lässt sich nicht färben. Hilfslinien & Co. sind auf Nessel natürlich ebenfalls richtig gut sichtbar. Ich könnte mir vorstellen, dass eine finale Version aus weniger hellem Stoff schon auch schwieriger zu nähen sein wird.
Der Rock war überwiegend Fleißarbeit – große Schnitteile, endlos lange Nähte, bisschen Gefummel mit den Taschen. Aber das ging flott und er saß gut, da würde ich in Zukunft nicht vom Schnittmuster abweichen wollen. Das Oberteil hatte ich ebenfalls ohne weitere Anpassungen nach Anleitung genäht (Oh! So viele Abnäher!). Und es sitzt gut, so lange ich mich nicht übermäßig bewege; da ich das aber durchaus manchmal tue, ist mir der Ausschnitt dann doch ein bisschen zu tief, das Ganze ein bisschen zu kurz. Es geht, aber nur mit einer im Ausschnitt versteckten Sicherheitsnadel – und das ist ja genau das, wovon ich weg will. Trotz grundsätzlich sehr guter Passform des Schnittmusters hätte dem Machwerk eine FBA nicht geschadet. Und vielleicht würde ich der Bluse in der Länge drei zusätzliche Zentimeter spendieren. Es läuft also auf ein weiteres Probestück heraus – aber auch darauf, sich an körperbetontere Kleidung zu gewöhnen. Einfach weil’s geht, wenn man sie ordentlich anpasst.
Gefärbt habe nach Anleitung in der Waschmaschine. Auch wenn ich da so meine Bedenken hatte – wer will schon die gesamte nachfolgende Wäsche verfärbt sehen? Aber es funktioniert tatsächlich wie vom Hersteller angegeben, ich war entzückt.
Nessel trägt sich wirklich angenehm! Das ist definitiv kein Probestück für die Tonne. Und doch – getragen hab ich das Kleid bislang erst genau einmal. Und ich hatte auch keine Lust, den versprochenen Artikel dazu zu verfassen. Schon überm Nähen hatte ich bemerkt, dass ich mich mehr und mehr von dem Projekt entfernte. Damals wusste ich nicht recht, warum, inzwischen weiß ich: es lag an dem kaum übersehbaren (potentiellen) Rotton. Denn schon im Mai begann mein Leben signifikant an Farbe zu verlieren – das hat sich mit der Signalwirkung dieses Kleides massiv gebissen. Ich bin kein Verfechter von indoktrinierter „Trauerkleidung“ – aber gut ist, was sich gut anfühlt. Und in den letzten Monaten fühlten Farben sich nicht gut an.
Überm Schreiben des Artikels erinnerte ich mich an Meike, die uns immer zu mehr „Tragefotos“ inspiriert (und neulich sogar einen Vortrag zum Thema „Schöne Fotos“ ins Leben gerufen hat).
Ich wollte die Möglichkeit mal nicht auf Anhieb ausschließen, suchte Bluse und Rock heraus, und was soll ich sagen… auf Tragefotos müsst ihr verzichten.
Während die Bluse noch einigermaßen okayish ist – ich könnte sie vermutlich gut zu Jeans kombinieren – kann ich den Rock über die Hüfte ausziehen, ohne ihn zu öffnen.
Und uff… damit hatte ich nicht gerechnet; offenbar auch ein Resultat des letzten Jahres.
Aber gut – für ein Outfit dieser Art ist es ohnehin noch zu kalt.
Und die Zeit für solche Farben ist auch noch nicht wieder da.
Aber sie wird wieder kommen, das weiß ich jetzt.
Und ich freu mich schon drauf.
In der Planungsphase nahm ich mir die Messwerte zweier Temperatursensoren vor: jene des Sensors an der Nordseite des Hauses sowie die von dem auf der Südseite. Für beide Sensoren bestimmte ich für jeden Tag des Jahres 2018 den Wert, der am weitesten von 0°C entfernt war – also entweder den kältesten oder den heißesten. Und das ungeachtet dessen, wie lange der im Endeffekt vorgeherrscht haben mag. Aus diesen so ermittelten Extremwerten ließ ich von Grafana für beide Sensoren je eine Heatmap malen. Und entschied mich dann für die, die mir optisch besser gefiel – so einfach war das. Die Wahl fiel auf die der Südseite – denn da waren die Temperatursprünge drastischer, der Farbverlauf hübscher.
Es ging – und geht – mir also nicht um wie auch immer geartete Klimakritik. Es ist ein Handarbeitsprojekt; ein Kunstprojekt, wenn ich mich aufblasen will. Aber ganz sicher keine wissenschaftliche Auswertung. Hätte ich die haben wollen, wäre ich die Sache völlig anders angegangen.
Die Heatmap zog ich dazu heran, Temperaturbereiche zu definieren und diesen jeweils eine Farbe zuzuweisen. Als das getan war – und ich habe länger daran geknobelt, als ich gerne zugebe – habe ich Tausendschön kontaktiert; online, da Lockdown und so. Und die waren extrem hilfreich, stellten mir zwei mögliche Qualitäten vor und sendeten sehr gute Bilder von den Farben. Die Wahl fiel schnell auf Option zwei, das Wolle-Seide-Gemisch.
Neben der Heatmap habe ich mir in Grafana auch einen Verlaufsgraphen sowie eine Tabelle bauen lassen. Die Tabelle habe ich dann als Basis für meine weitere Planung genutzt, indem ich sie exportiert habe („Inspect“ → „Data“ → „Download CSV“).
Durch die grobe prozentuale Übersicht konnte ich jetzt endlich die Garnbestellung anstoßen.
Die mittlere Farbe gab es nicht – die Inhaberin färbte mir einen Strang entsprechend, und wie cool ist das bitte?!
Das Garn wurde dann in 14 Strängen zu je 400m (später habe ich dann noch zwei nachbestellt) geliefert - folglich musste ich das erst einmal sorgfältig zu Knäueln wickeln.
Das sollte man nicht unterschätzen: auch das nimmt Zeit in Anspruch!
Da mir klar war, dass das Projekt über einen längeren Zeitraum würde laufen müssen, steckte ich jedes Knäuel in einen Kosmetikbeutel, den ich oben locker verknotete, und an den Knoten machte ich einen Zettel mit der jeweiligen Garnfarbe.
Diese Excel-(später: OpenOffice)-Tabelle stellte sozusagen den zweiten Teil der Anleitung dar: ihr entnahm ich die Farbe, in welcher ich die nächste Reihe arbeiten muss. Der Anleitung hingegen entnahm ich, wie ich sie arbeiten muss.
Im ersten Winter, 2020/21, arbeitete ich an der ersten Version, die sich schließlich als Fehlversuch herausstellen sollte. Diese war nicht gestrickt, sondern gehäkelt. Ich hatte die Anleitung online entdeckt, das Muster hatte mir gefallen. Doch nun lag es vor mir, in meinen Farben, und es wirkte einfach nur altbacken. Zugleich war klar, dass es viel zu schwer werden würde. Ich fand es absolut ätzend. Ich stoppte die Arbeit und trennte alles wieder auf *hier entsetze Aufschreie aus der Community einfügen* – also einmal komplett umdenken.
Ich verstand, dass ich für ein Projekt dieser Dimension auf Stricknadeln würde umsteigen müssen. Damit tat ich mich schwer: ich hatte noch nie ein Tuch gestrickt, und mir fehlte jede Idee für ein passendes Muster. Der Farbverlauf ist ja schon unruhig, ich suchte nun etwas sehr Schlichtes. Ich wusste nicht, was ich suchte – aber als ich (nach ziemlich langer Zeit) mein DROPS 133-1 fand, war direkt klar: das ist es.
Inzwischen war so viel Zeit vergangen, dass ich erst einmal meine Excel-Tabelle anhand der Temperaturdaten von 2020 neu erstellte; der Rest (Zuordnung der Farben, grobe prozentuale Verteilung etc.) änderte sich nicht.
Und dann legte ich erneut los.
Das erste Drittel im Winter 2021/22 war erfreulich schnell gearbeitet.
Jede vollständig gearbeitete Reihe strich ich in der Excel-Tabelle aus.
Für die Mustersätze nutzte ich frühzeitig Maschenmarkierer, große für jeden Anfang, kleine für die jeweilige Mitte, um nicht die Übersicht zu verlieren.
Denn, wie ich schnell feststellte: das Muster sieht trivial aus, verzeiht aber keinerlei Fehler – einmal verzählt, und auch der Laie erkennt sofort „da stimmt was nicht“.
Verdammt.
Flott hatte ich also einen signifikanten Berg Merino auf dem Schoß, so dass ich (Wärme!) im Sommer jeweils andere Projekte verfolgte. Das zweite Drittel im Winter 2022/23 gestaltete sich aufgrund stetig steigender Maschenzahl schon etwas zäher, war aber immer noch ganz gut zu machen.
Das letzte Drittel zeigte sich dann so ein bisschen als Endgegner.
Klar „hätte ich wissen können, bei wie vielen Maschen pro Reihe ich enden würde“ – und, oh Wunder, dank Excel wusste ich das ja auch.
Dennoch waren das einfach nur Zahlen – ich musste es erleben, ich musste es einmal ganz durchspielen.
Um eben zu verstehen, was 1802 Maschen in einer Reihe wirklich bedeuten – zum Beispiel, dass es über drei Stunden braucht, eine vollständige Reihe zu arbeiten.
Und auch, welche (teils unerwarteten) technischen Schwierigkeiten das mit sich bringen würde.
Zuerst brachen mir unter der Last nämlich die Holznadeln einfach ab, so dass ich neue Nadelspitzen (Aluminium diesmal) besorgen musste.
Dann waren plötzlich alle vorhandenen Seile zu kurz, so dass ich erstmal schauen musste, wo ich ein 2,50m-Seil herbekomme (scheint heute einfacher zu sein als vor zwei Jahren, und mit Verlängerungen wollte ich wegen der Gewinde nicht hantieren. Denn…). Zuletzt hielten die Gewinde der KnitPro-Nadelspitzen das Ganze nicht mehr - sie begannen von selbst, sich aufzudrehen, was insgesamt sehr lästig und schlecht fürs Garn war, einmal aber auch fast ins Desaster geführt hätte. „Screw Lock hochfest“ aus dem Baumarkt schaffte hier Abhilfe – nach all der Arbeit (und Materialkosten!) entschied ich, lieber den Satz Nadelspitzen und das Seil für verloren zu erklären, als jetzt, kurz vor Schluss, im Chaos zu enden. Kurzum: bei 1802 Maschen war Schluss, breiter hätte es nicht mehr werden dürfen.
Aber da waren die 366 Reihen – die letzten 20 davon kraus rechts gehalten, damit es sich nicht dumm aufrollt – geschafft.
366 Reihen, 348.740 Maschen, 1500g Garn.
Ab dem 17. Dezember 2023 konnte ich abketten (was zwei Abende dauerte), bis zum 7. Januar 2024 hatte ich dann die Fäden ordnungsgemäß verstochen.
Eine Heatmap zum Kuscheln also, was mir sehr entgegen kommt, weil ich seit einer Weile ständig friere und sehen muss, wie ich mich aufwärme.
Als ich mit der Planung begonnen habe, war die Idee eines „Temperature Blanket“ recht innovativ – leider habe ich für die Umsetzung so lange gebraucht, dass sie es nun nicht mehr ist.
Allerdings habe ich, wie ich zu meiner Ehrenrettung festhalten muss, mit bedeutend feinerem Garn ein bedeutend größeres Projekt umgesetzt als die meisten, die ich online bisher so gesehen habe – zumindest hält mich jeder, der es live und in Farbe bewundern durfte, für völlig bekloppt.
Damit ist das aufwändigste Handarbeitsprojekt, das ich bisher durchgezogen habe, erfolgreich beendet. Und es hat, zusammen mit mir und auf meinem Schoß, schon ziemlich viel erlebt. Die Corona-Lockdowns zum Beispiel, die keine waren. Abschiede. Jobwechsel. Es saß mit mir an Papas Bett, während er schlief. Und es zeigt die Temperaturen des Jahres, in dem fast jeder Pfeiler zusammenbrach, der mir irgendwie wichtig war (die restlichen Pfeiler sollten dann in den Folgejahren brechen – wie gut, dass man sowas vorher nicht weiß). Als Projekt vermisse ich es schon jetzt, immerhin kann ich mich nun darin einwickeln. Ich brauche dringend einen Nachfolger: der steht auch schon fest, ich konnte mich bislang aber für keine Farbe entscheiden… 😇
Zum Verstechen der Fäden hatte ich dann immerwarmen Kaffee: vielen lieben Dank, MK, für den Thermobecher – er ist so großartig, wie ich es mir erhofft habe, und ich hab mich so mega gefreut!
Und dass es dabei nicht so langweilig war, hatte ich MP zu verdanken – die dritte Staffel meiner Serie versüßte mir die lästige Fleißarbeit ganz ungemein! 🥰
Wie von den meisten Dingen, die ich über die Jahre von ihm bekommen habe, kann ich mich nun auch von der kleinen Uhr nicht trennen. Obwohl sie laut tickt, und lautes Ticken im Wohnraum ist mir ein Graus; den Küchenschrank nutzt sie sogar als Resonanzkörper, das macht es nicht besser. Aber es ist die „Rumpelküche“, hier stört mich das nicht.
An Papas Todestag hörte sie auf zu ticken.
Ich kann nicht sagen, wann genau; ich betrat irgendwann im Laufe dieses schrecklichen, schrecklichen Tages den Raum, und die kleine Uhr tickte nicht mehr.
Es bestürzte mich – so stark, dass es tatsächlich in mein Bewusstsein vordrang, während weite Teile dieser Tage weißer Nebel sind.
Er starb zur Zeit der Perseiden; das macht es mir leicht, ihn in jede Sternschnuppe hineinzuinterpretieren, die ich seither gesehen habe – und das waren viele, gemessen an den Jahren zuvor.
Und genauso gern bilde ich mir ein, dass Papa auf irgendeine Art die Uhr beeinflusst, dass er sie steuert.
Denn auch eine neue Batterie ändert nichts daran: seit jenem Tag im August geht sie mal, und mal geht sie nicht.
Die kleine Uhr ist nicht kaputt.
Sie entscheidet nur, zu beliebigen Zeitpunkten die Zeit unbestimmt lange anzuhalten.
Und das beschreibt mein ausklingendes 2023 vollumfänglich.
Die Zeit wurde für „unbestimmt lange“ angehalten.
Und in gewisser Weise steht sie nach wie vor still.
Dabei ist es längst nicht mehr „letzte Woche“.
Schnell war es auch nicht mehr „letzten Monat“.
Ein bisschen noch.
Einmal Kalender umhängen.
Einmal Geböller und Dreck ertragen.
Einmal mit einem Glas voller Irgendwas in die Dunkelheit starren –
Nur noch eine weitere schlaflose Nacht.
Und dann ist es „letztes Jahr“.
Das also war mein 2023: Überforderung und Fassungslosigkeit. Kontrollverlust und Hilflosigkeit. Unglaube und Verachtung. Enttäuschung und Wut. Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Angst. Ständige Erreichbarkeit und Zeitdruck. Trauer. Herrje, dass man so trauern kann. Und Tränen. Oh Gott, so viele Tränen. Schmerzen. Dass etwas so unendlich weh tun kann. Und Einsamkeit. Wie unendlich allein man doch sein kann, allein mit alledem.
Ein Jahr zwischen Zitroneneis und Morphium, Kirschen und Chemotherapie, Zuckerwaffeln und Cannabis auf Rezept.
Es gibt da so vieles, was man gar nicht wissen will, nie wissen wollte – aber ich weiß es jetzt.
Es gibt Gespräche, die man nicht führen, Nachrichten, die man nicht schreiben, Fragen, die man nicht stellen, Gefühle, die man nicht spüren will – aber ich redete und schrieb und fragte und fühlte.
Denn die Umstände interessierte es nicht, was ich will.
Die Umstände erlaubten mir kein Einknicken, keine eigenen Grenzen, ich selbst erlaubte sie mir nicht.
„Ich bin da“, das hatte ich ihm an diesem denkwürdigen Nachmittag unnötigerweise versprochen – unnötig, denn er wusste es auch so.
Und ich war da.
Denn nur so funktioniert ein Versprechen.
Inzwischen ist – äußerlich – Ruhe eingetreten.
„Schön, dich so fröhlich zu sehen“, sagen sie, und halten das Thema für erledigt.
Es genügt ihnen, Fröhlichkeit in Momentaufnahmen hineininterpretieren.
Die meisten interessiert es nicht weiter, die restlichen Minuten des Tages bekommen sie ohnehin nicht mit.
Und schon gar nicht die der Nacht.
Denn die Nacht ist jetzt anders dunkel als vorher.
Die Stille ist jetzt anders still als vorher.
Die Ruhe ist nur äußerlich.
Und die Kälte sitzt so entsetzlich tief.
Was soll ich schreiben, schreiben zu diesem Jahr? Eine detaillierte Rückschau würde keiner von uns ertragen: nicht ich, die sie schreiben würde, die dadurch erstarrte Situationen wieder in Bewegung setzte, gnädigerweise verschüttete Erinnerungen wieder hochholte; nicht ihr, die Leserinnen und Leser.
Das Jahr war schlimmer für mich, als… als alles. Ich muss viel Energie darauf verwenden, nicht zu verbittern, nicht mit den Menschen im Allgemeinen zu brechen – denn das Gesehene und Erlebte würde mir genügend Gründe dafür liefern. Ich sage mir selbst, dass die meisten Dinge auf dieser Welt außerhalb meines Einflussbereichs liegen, ich in die Köpfe anderer nicht hineinsehen kann und mich nicht für alles verantwortlich fühlen muss; ich sage mir selbst, dass ent-täuscht besser sei, als weiterhin ge-täuscht. Es liegt viel Arbeit vor mir.
Mein erster Impuls als Antwort auf die Frage, welche Hoffnungen ich in 2024 setze, lautete erst einmal „gar keine“. Aber – und zum Glück! – das stimmt so nun auch wieder nicht. Ich kann jedoch nur hoffen, dass ich die nötige Kraft finden werde, um an deren Umsetzung auch wirklich arbeiten zu können.
Nicht zuletzt für die Kinder will ich 2024 wieder einigermaßen auf die Beine kommen.
Deshalb wünsche ich mir mit höchster Priorität ernsthafte – was vermutlich bedeutet: medizinische – Hilfe bei der Lösung meiner Schlafprobleme.
Ich wünsche mir Ansprechpartner, die mich in dieser Sache ernst- und die Dringlichkeit meines Anliegens wahrnehmen.
Denn wenn da nun nicht zeitnah (!) etwas passiert, drehe ich entweder durch oder falle um.
Man liest von übergewichtigen Menschen, deren gesundheitliche Probleme nicht ernst genommen werden; denen auf alles, was sie quält, als Allheilmittel eine Gewichtsabnahme – und sonst nichts – empfohlen wird.
Aktuell stehe ich vor einem ähnlichen Berg, nur dass meiner nicht „Übergewicht“ heißt, sondern „Trauer“ - und der ist genauso wenig kurzfristig abzubauen oder zu überklettern.
Dass sich hier etwas zum Besseren wendet, ist also meine größte Hoffnung – denn davon hängt alles weitere, ich kann es nicht anders sagen, vollständig ab. Wieder die Kraft zu finden für die Dinge, die ich gerne mag; und um die dunklen Gedanken ein wenig mehr auf die hinteren Ränge zu verweisen. Wieder genug Energie zu haben, um mich für hinreichend menschenkompatibel zu halten; und den sozialen Rückzug zumindest nicht noch weiter einreißen zu lassen. Ich muss auch daran arbeiten, mich und meine Grenzen viel deutlicher zu schützen.
Wie gesagt: es liegt viel Arbeit vor mir.
Und ich freue mich über alle, die bereit dazu sind, diesen Weg mit mir zu gehen.
Bis nächstes Jahr, ihr Lieben!
Rutscht gut, wo auch immer ihr rutscht!
Küsst eure Liebsten, haltet sie fest – es kann sich alles so schnell ändern.
Und wenn ihr anstoßt, trinkt einen Schluck auf mein Väterchen.
Und vielleicht tickt die kleine Uhr dann mal wieder.
Denn im Moment steht sie.
Silvester 2006 · 2007 · 2008 · 2009 · 2010 · 2011 · 2013 · 2015 · 2016 · 2017 · 2018 · 2019 · 2020 · 2021 · In manchen Jahren hat es nicht einmal für einen Jahresrückblick gereicht. Aus Gründen.
]]>„Er“, das war mein Musiklehrer; damals, in den frühen Achtzigern. Er war frustriert, denn er hatte es mir erklärt, mehrfach, und eigentlich hatte ich doch auch zugehört. Und nun saß ich über einem Notenblatt und sollte einfach nur den Namen über die jeweilige Note schreiben, C und A und G und E. Doch ich schaute nur und machte nicht, und das frustrierte ihn, sehr sogar; und über jedes annehmbare Maß hinaus.
Ich war vier. Dass ich gar nicht schreiben konnte – das ließ er außer Acht. Oder machte es sich nicht bewusst. Oder es interessierte ihn schlichtweg nicht… Das Konzept „Buchstaben“ sagte mir zu dem Zeitpunkt nichts. Ich sah die Note auf dem Papier und hatte ihren Klang in meinem Kopf, aber darum ging es hier ja offensichtlich nicht. Doch ich war vier, und ich stellte die Autorität eines Erwachsenen nicht in Frage – ich kann nur hoffen, dass das bei heutigen Vierjährigen, zumindest in solchen Konstellationen, anders ist. Irgendwann erzählte ich es meinen Eltern dann doch, und nie wieder hatte ich Unterricht bei diesem Mann.
Aus meiner heutigen, erwachsenen Perspektive heraus sage ich, dass das schon in gewisser Weise geprägt hat; mich, meine Einstellung Lehrpersonen gegenüber, meine Einstellung der (Musik-)Theorie gegenüber. „Die Theorie verdirbt mir bloß den Spaß an der Praxis“ habe ich lange Jahre gesagt, und für mein vierjähriges Ich hat das ja auch definitiv so gestimmt. Der nachfolgende Lehrer hatte es sicher nicht leicht mit mir – ich habe ihn als geduldigen und knuffigen Menschen in Erinnerung. Er spielte selbst ganz wunderbar und ich mochte ihn, aber bei den Theoriethemen sperrte ich mich und ließ sie eher über mich ergehen, als dass ich aktiv daran gearbeitet hätte.
Und wir waren definitiv nicht einer Meinung in Bezug auf die zu übenden Stücke: während er mir Dinge anschleppte wie „Schenkt man sich Rosen in Tirol“ oder „Rosamunde“, beharrte ich auf einem Notenstapel mit Brahms und Chopin. Das könne man auf einer Heimorgel nicht spielen, erklärte er geduldig – und er hatte natürlich recht. Doch ich wehrte mich mit Händen und Füßen gegen diese Alleinunterhalter-Sache, weigerte mich, mit dem Rhythmusgerät zu arbeiten; und die verschiedenen Klangmöglichkeiten schöpfte ich nur aus, wenn ich jemanden ärgern wollte, indem ich das Obermanual auf Xylophon, das Untermanual auf Akkordeon und das Passpedal auf Tuba schaltete. Im Grunde kristallisierte sich früh heraus, dass die Heimorgel das falsche Instrument für mich war, doch niemand (und auch ich nicht) reagierte darauf. Als ich 13 Jahre alt war, endete der Unterricht; ich habe ihn überrundet, sagte mein Lehrer, es gebe nichts, was er mir noch beibringen könne. Das machte mich stolz und traurig zugleich.
Er empfahl mir die aktive Weiterarbeit, ich hätte alle Werkzeuge dazu sozusagen in den Händen. Und ich nahm den Notenstapel mit Brahms und Chopin, und ich musste einsehen, wie sehr er Recht gehabt hatte. Denn bei der Heimorgel gilt „Taste == Ton“, da ist kein Raum für eigene Interpretation. Und es klang falsch, es klang einfach falsch, ich wollte mich mitteilen, irgendwie, über die Musik – aber das klappte nicht. Man spielt Chopin halt auch nicht auf zwei Manuale verteilt. Und dass beim Waltz C-sharp minor Op. 64 No. 2 schlicht die Tasten im Obermanual nicht ausreichen… Ja, das frustriert. Ich musste es einsehen: das, was ich (und wie ich es) spielen wollte, war mit den gegebenen Mitteln einfach nicht machbar.
Ich sah für mich also nur zwei Möglichkeiten, um irgendwie weiterzumachen: Ausbildung in Richtung Kirchenmusik/ Organistin, um der Schiene „Orgel“ treu zu bleiben – wozu ich jedoch zu jung war, das Mindesteinstiegsalter lag bei 15 Jahren – oder Anschaffung eines Klaviers, um spielen zu können, was sich auf der Orgel nicht spielen lässt. Ich war gedanklich für beides offen, beides hätte seinen ganz eigenen Reiz auf mich ausgeübt; mit einer klaren Tendenz zum Klavier, denn Kirchenmusik hätte „spielen vor Publikum“ impliziert, und daran hatte ich noch nie Interesse. Das war aber auch egal, denn beides stand nicht ansatzweise zur Debatte. In der Kernfamilie hatten sich derweil verschiedene Verhaltensweisen etabliert, die mir den Spaß am Spiel nachhaltig verdarben; und so spielte ich nur noch, wenn ich allein zu Hause war.
Und irgendwann spielte ich dann überhaupt nicht mehr.
Wir ihr richtig vermutet: hier steht vieles zwischen den Zeilen. Und das ist gut so, da gehört es auch hin, ich will dem gar nicht zu viel Raum lassen. Doch wenn ich so zurückschaue: wie schade um die verschenkte Zeit, das verschenkte Potential. Ich war gut, und ich hätte besser werden können. Meine Musik hätte mich auf meinen Wegen begleiten können – stattdessen machte ich Fingersatzübungen auf der Schreibtischplatte und beschränkte meine „Tastenvirtuosität“ auf Computergedöns.
Aber ich habe ja auch keine „Klavierhände“, wie mir zu Zeiten immer wieder und voller Gelächter versichert wurde; eher Bauarbeiter-Handwerker-Pfoten1, nicht graziös, nicht schmal, nicht elegant. Und mit zehn Fingern, von denen nur neun vollständig nutzbar sind, unzureichend. Doch die fehlende Musik war jahrelang wie ein Juckreiz im Gehirn, just an der Stelle, an die man nicht rankommt. Da halfen mir auch keine YouTube-Videos, keine Spotify-Playlisten – es fehlte mir.
Zwischenzeitlich hatte ich dann ein „richtiges“ Klavier, aus einer Haushaltsauflösung. Und zum Glück nicht teuer: denn es war so verstimmt, dass sich nicht darauf spielen ließ – und, wie sich herausstellte, so kaputt, dass es sich nicht mehr stimmen ließ. Und die Orgel hab ich zwar, aber sie steht verpackt im Keller: zuletzt wies sie signifikante technische Defekte auf. Defekte, die zu beheben ich mich nicht in der Lage sehe. Mit genug Zeit- und Geldeinsatz mag das gehen, doch selbst dann, so wurde mir klar, hätte ich lediglich wieder ein Instrument, das doch eigentlich nicht das ist, was ich will. Man spielt Bach ja auch nicht auf der Trillerpfeife, wenn er sich anhören soll wie Bach; und Darudes „Sandstorm“ nur dann auf der Blockflöte, wenn man Leute zu Tode nerven will. Aber dann klingt es eben nicht wie Darudes „Sandstorm“.
In den letzten Monaten ließ ich also alle Paypal-Spenden, alle Erlöse der Sammlungsauflösung, alles, was irgendwie ging, meinem „E-Piano-Fonds“ zufließen. Und dann war da natürlich noch das Preisgeld, das ich für mein Foto erhalten hatte. Dennoch machte ich mir den eigentlichen Schritt selbst sehr schwer: muss das denn sein?, keine Klavierhände, vermutlich bekomme ich es eh nicht hin, und das in meinem Alter. Ja, diese Dinge prägen. Und damit ringt man auch dann, wenn der Verstand ganz klar das Gegenteil kommuniziert.
Aber dann habe ich in einer der vielen ohnehin schlaflosen Nächte eine Ecke des Arbeitszimmers freigesprengt - und an dieser Stelle steht nun ein schnuckeliges mattschwarzes E-Piano. Denn da ist dieser eine Track, den ich in den letzten 25 Jahren sicher 1000x gehört und mir dabei vorgestellt habe, ich würde ihn spielen; der Track, den ich Note für Note im Kopf habe, und manchmal verfolgt er mich bis in meine Träume. Ich bezweifle, dass die vielleicht 20 Jahre, die ich noch habe, bevor Arthritis & Co. zuschlagen, ausreichen, um diesen Track zu erlernen; ich müsste die große Runde machen über alles, was es zu erlernen gilt – ich weiß nicht, ob das mit Bauarbeiter-Handwerker-Pfoten überhaupt geht, ob der zehnte Finger nicht doch zwingend erforderlich dafür wäre, ob der sehnenscheidengeplagten linken Ex-Akkord-Greif-Hand flüssigeres Spiel überhaupt noch beigebracht werden kann.
Aber wie soll ich das herausfinden, wenn ich nicht jetzt damit anfange?
Inzwischen ist es also ein leichter Schmerz, der den Abend beendet und die Nacht einläutet. Ein Schmerz, von der Mitte der Handwurzel ausgehend, durch ungewohnte Belastung und noch unzureichendes Training; die rotglühende Erinnerung, dass ein Zuviel nie zuträglich ist, dass die Muskeln ein wenig Ruhe brauchen, dass morgen auch noch ein Tag ist. Doch woher wollen sie das wissen, diese dummen, naiven Muskeln – wer garantiert mir einen neuen Tag, eine neue Chance? Jede Antwort darauf ist vernichtend, und ich versuche mich nochmals an dem Lauf, einmal nur noch, wie auch die letzten Male nur noch einmal waren. Die rechte Hand performt deutlich mehr, als ich je erwartet hätte, das „Ton-Ohr“ funktioniert noch so, wie ich es kenne, die linke Hand erhält die benötigte Zuwendung und erwacht. Es ist wie eine Sucht, Zeit verliert an Bedeutung. Und aus all den Misstönen und dem Danebengreifen schält sich die Melodie hervor – so viel schneller als gedacht, so viel emotionaler als erhofft.
Und die Taste ist nicht mehr einfach nur Ton, sie ist lauter Ton oder leiser Ton oder gehauchter Ton oder melancholischer Ton; sie ist Emotion. Ich lasse die Taste sagen, was ich nicht sagen kann, und wen wundern da die Misstöne. Die Taste, das bin ich.
Und das ist ein bisschen wie „ankommen“.
Einerseits habe ich etwas richtig gemacht – mir ein „neues“ Hobby zugelegt, das mich beschäftigt, ablenkt, mir Freude macht. Andererseits ist es – neben „Handarbeiten“, „Bildbearbeitung“ und „Computer-Gedöns“ – auch nur ein weiteres Stubenhocker-Hobby. Also wieder nichts mit „neue Leute kennenlernen“ – und diesmal vielleicht final, da zeitintensiv. Mift.
Bei dem E-Piano handelt es sich um ein Casio AP-710 BK, und es hat mich in jeder Hinsicht überzeugt. Erfahrungsgemäß stürzen sich die Leute nun auf das Produktdatenblatt, bashen auf Wattzahlen, Anschlüssen und Digitalisierungsmöglichkeiten herum, verlieren sich in den technischen Details. Und lassen das, worauf es ankommt – das Gefühl des „Ankommens“ – dabei völlig außer Acht. Könnt ihr gerne machen, hab ich allerdings kein Interesse dran – verschont mich bitte.
Die Suche nach dem passenden Instrument folgte ein paar vergleichsweise einfachen Kriterien: „muss sich richtig anfühlen“, „muss bezahlbar sein“, „muss mit Kopfhörer funktionieren“ (aber das tun sie ja alle) und „sollte möglichst wenig Knöpfchen und Lichtchen haben“. Nun, wie ich gelernt habe: je weniger Knöpfchen und Sonder-Sounds, desto teurer.
Und so verwarf ich den Gedanken an alles, was lokal nicht verfügbar ist, und spielte sie alle an: Kawai, Yamaha, Roland und eben Casio, jeweils verschiedene Modelle und dann eben dieses, und da machte es „klick“. Ich kann das nicht erklären, es war so ähnlich wie bei Hubi – ich würde es mitnehmen, ich würde es glücklich nutzen, ich würde nie neidisch nach etwas anderem schielen. Das wusste ich vom ersten Moment an.
Technische Details sind vermutlich dann relevant, wenn man Auftritte plant, eine definierte Anschlagsdynamik braucht, einen Youtube-Kanal eröffnen oder sonstwie Publikum um sich scharen will. Doch wie gesagt: ich selbst im Zentrum aller Aufmerksamkeit liegt nicht in meinem Interesse. Ich „klimpere“ (wie K2 es so treffend formuliert) nur vor mich hin.
Ich habe es über six+four bezogen, auch noch ein bisschen gehandelt. Ich hab ja das Glück, diesen wirklich großartigen Laden sozusagen vor der Tür zu haben – aber ich bin sicher, die sind auch online richtig gut. Ganz klare Empfehlung meinerseits.
Dafür kann ich mit den Fingern Schrauben so fest anziehen, dass das für fast schon besorgte Blicke sorgt. ↩︎
Mehr oder minder an einem Stück, fast schon so, wie man es bei einem Roman tut, und mit klarem Fokus auf die Offline-Artikel.
Bei dem Gedanken werde ich rot vor Verlegenheit, und das ist eigentlich ganz schön bescheuert unerwartet, wenn man bedenkt, wie lange ich schon $DINGE
in dieses Internet schreibe.
„Ganz früher™“ hatte ich die Leserschaft im Blick. Da waren wir alle ganz scharf auf jede einzelne site impression, auf bunte Graphen und viele Zahlen. Fast all meine Kollegen1 haben auf irgendeine Art gebloggt (hach!). Und in den Pausen unterhielten wir uns darüber, gaben uns gegenseitig Tipps, prahlten gutmütig mit unserer Reichweite („Ich hab jetzt schon 12 Feed-Leser, ha!“). In gewisser Weise habe ich also für ein Publikum geschrieben.
Doch irgendwann hat sich das für mich nicht mehr bewährt – auch, weil man es sowieso nie allen recht machen kann. Zeiten ändern sich – immerhin wird dieses Blog im kommenden Jahr volljährig. Rahmenbedingungen ändern sich – Stichwort „DSGVO“ zum Beispiel. Und nicht zuletzt ändern sich persönliche Präferenzen. Ich änderte meine Sichtweise: mein Blog, meine Spielwiese. Seitdem werte ich keinerlei Logs mehr aus, schreibe keine Statistiken; habe keinen Dunst, ob ich nun 30 oder 300 Feed-Leser habe. Daher rührt es vermutlich auch, dieses Gefühl: Ich schreibe nur für mich. Das versackt ohnehin in den digitalen Weiten. Das liest niemand. .oO(Und wird allenfalls fürs Training von ChatGPT missbraucht.)
Und dann gibt es da diese Momente, in denen mir klar wird, dass das so nicht stimmen kann 🙈 Denn manchmal erfahre ich von Menschen, die mein gesamtes Blog (und vor allem die Offline-Artikel) mehr oder minder an einem Stück gelesen haben. Etwas daran muss sie angesprochen haben, sonst hätten sie sich in Zeiten von TL;DR diese wall of text ja nicht freiwillig angetan. Manchmal hinterlassen mir diese Menschen anschließend eine Botschaft. Und fast immer begannen diese Botschaften bisher mit einem Danke. Das hinterlässt mich, je nach Tagesverfassung, zumindest mit einer Freudenträne im Augenwinkel, während ich zugleich dem Munch-Emoji erschreckend ähnlich sehen dürfte.
Irgendwo gibt es also Menschen, die Zugang haben zu meiner Art zu schreiben; zu den Dingen, die ich tue und die mir wichtig sind; zu den Gedanken, denen ich versuche, hier Ausdruck zu verleihen. Sogar jetzt, wo ich mich so einsam fühle wie nie zuvor in meinem Leben, so abgehängt und kaputt; und meine Texte so traurig und nachdenklich sind wie nie zuvor. Und manchmal denke ich: mit euch würde ich gern mal abends in einer Kneipe herumsitzen. Herausfinden, ob diese ähnliche Wellenlänge auch „in analog“ Bestand hätte. Ich wäre neugierig darauf, ob wir uns verstehen und worüber wir sprechen würden.
Doch dazu wird es nicht kommen. Nur in den seltensten Fällen kann ich zuordnen, mit wem ich es zu tun habe; und Menschen meiner Wellenlänge haben überdurchschnittlich häufig die lästige Eigenart, viele, viele Kilometer von mir entfernt zu wohnen. Also bleibt mir lediglich, euch digital zu winken. Wenn auch einigen von euch haarsträubend zeitversetzt – was ihr mir, angesichts der Umstände, hoffentlich nachseht. Auch das Artikelbild ist ein Gruß – ich hoffe, die richtigen werden sich angesprochen fühlen. Und Dank und Gruß auch an JB – diesmal hast du mich nachdenklich gemacht.
Ja, das ist korrekt gegendert. ↩︎
Und doch habe ich genau das getan: ich habe ein Bild eingesendet1.
Das Motto der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ)“ für das Jahr 2023 ist #WatchOutHstry, das Motto des Fotowettbewerbs lautete „Unknown Stories of NS Persecution“. Und ich hatte den Eindruck: hier kann ich etwas beitragen. Ich kann bereichern. Ich kann den Finger auf eine der „Leerstellen“ legen, vielleicht Interesse wecken, vielleicht zum Nachfragen anregen. Denn das „Geisterdorf“ Ban-Saint-Jean – Stalag XII G Johannis-Bannberg-Bolchen – ist ein Thema, das mich schon seit vielen Jahren umtreibt.
Ich habe mir fest vorgenommen, dem Lager demnächst mal einen separaten Artikel zu widmen - auch wenn es sehr schwierig ist, wirklich zuverlässige Informationen und belastbare Quellen zu finden. Eindeutig hingegen sind die Berichte von 204 Massengräbern und insgesamt mehr als 20.000 - überwiegend sowjetischen - Opfern. Deren genaue Zahl und Identität bleiben weitestgehend ungeklärt.
Wie auch die Frage: was genau ist dort eigentlich geschehen? Für mich ist nicht zu fassen, dass das nicht so recht aufgearbeitet wurde, dass die Hinterbliebenen niemals Antworten auf ihre Fragen erhalten haben. Während an so vielen anderen Stellen Gedenkstätten errichtet wurden, handelt es sich hier um - über viele Jahre hinweg militärisches – Sperrgebiet. Nicht zum ersten Mal ist im Gespräch, das Gelände einzuebnen.
Kurzum: ich befand, mein Bild sei an dieser Stelle genau richtig. Und mehr noch: die Jury befand das ebenfalls, ich habe nämlich den 2. Platz gemacht! Ich war sehr von den Socken, als ich die Nachricht erhielt – auch davon, dass ich ein Preisgeld erhalten würde. Das hatte ich in meinem dokumentatorischen Eifer nämlich glatt übersehen 🙄😂
Die begründete Freude darüber bringt eine gehörige Portion Salz in die noch frischen Wunden mit sich. Und die beiden Nachrichten „dein Foto ist in der engeren Auswahl“ und „du hast gewonnen“ zogen mir für mehrere Tage komplett den Boden unter den Füßen heraus.
Denn mir ist nur zu bewusst, dass ich ohne meinen Papa vermutlich nie so fotografiert hätte, wie ich es heute tue. Er hat mir meine erste Kamera, eine Porst 126 Sport mit Blitzwürfelchen (!), geschenkt – da war ich knapp vier. Er hat mich als Jugendliche seine gute Spiegelreflex nutzen lassen, ganz ohne Belehrungen, und ich hab sie behütet. Er war fürchterlich genervt ob meiner Rückwärtsgewandtheit – hatte keinerlei Verständnis dafür, dass ich so lange noch analog und mit Filmen hantierte. Er selbst war längst digital unterwegs; und wir zankten darüber, bis ich es schließlich auch war. Genau so, wie er später dann bei dem Thema „Drohne“ keine Ausreden duldete.
Ich würde es ihm so gerne erzählen: mein Foto hat die Jury begeistert! Es hat den zweiten Platz gemacht! Doch nun ist er meine „Leerstelle“; ich kann nur noch mit Platzhaltern reden, aber nicht mehr mit ihm. Müsste diese Erkenntnis nicht sacken, so mit der Zeit? Dieses „ich kann es ihm nicht erzählen“ schlägt auf mich ein, immer wieder – und so viel schlimmer, als ich es je vermutet hätte.
Mit ihm habe ich, unter anderem, meinen Lehrmeister verloren, einen Vorreiter, den wahren Enthusiasten. Ihm widme ich den Preis, diesen Artikel, das Artikelbild – das erste Foto, das ich in meinem Leben selbst gemacht habe: mein Gartenzwerg, aufgenommen mit der klitzekleinen Porst mit dem orangefarbenen Auslöser auf dem Balkon unserer Mietwohnung. Im Hintergrund etwas, das heute Weltkulturerbe ist. Damit hat alles angefangen, damals.
Und das tut genauso weh, wie es wunderbar ist.
Liebe #tvgn-Gurken: danke. Danke. Danke. Danke 🥰 ↩︎
Und deshalb erzähle ich euch heute mal, wie mein Foto-Backup derzeit organisiert ist. Denn wer weiß – vielleicht hilft es jemandem von euch? Und: in dem Fall wäre ein bisschen Feedback ganz zauberhaft! 🙃
Ich bin überhaupt kein „Daten-Messie“, und ich denke, das hilft mir in vielen Belangen – nicht zuletzt in Sachen Backup. Ich habe mir zum Beispiel komplett den Gedanken abgewöhnt, dass „dieses Bild zwar nicht ganz optimal ist, aber ich kann bestimmt irgendwann mal noch was draus machen“. Erfahrungsgemäß kommt es dazu nämlich nie; ein neuer Tag bringt neue Bilder. Während die zu verwaltende Datenmenge stumpf anwächst. Isso.
Und das ist anstrengend: zum einen für mich, denn ich muss Datenträger kaufen und verwalten und Laufzeiten im Auge behalten und das ganze Setup mit wachsender Datenmenge gegebenenfalls anpassen oder überarbeiten. Die Größe der jeweiligen Backups wächst mit der Datenmenge. Die benötigte Zeit für die Backups steigt ebenfalls – und steigen werden logischerweise auch deren Kosten.
Wenn ich da keine Ordnung halte, stelle ich mir das aber zum anderen auch für meine Hinterbliebenen anstrengend vor – irgendwann, in hoffentlich sehr ferner Zukunft. Trotzdem. Ihnen möchte ihnen eine konsistente Fotosammlung mit echten Schätzchen hinterlassen, keinen unsortierten Müllhaufen voller Duplikate und „da hat Mama weder Zeit noch Lust gehabt“.
Na, und eigentlich möchte auch ich lieber mit dem Best-Of arbeiten. Und mich auf dem Weg dahin nicht mit der digitalen Machete durch verwackelte Experimente und Fehlbelichtungen1 schlagen müssen.
Im recht rigorosen Umgang mit meinem Bildmaterial heißt das konkret:
An dem daraus resultierenden „Best-Of“ wiederum hänge ich mit meiner ganzen Seele. Schon der Gedanke daran, dass meinen Bildern was passieren könnte, tut sozusagen körperlich weh. Und deshalb versuche ich, den potentiellen vollständigen Datenverlust abzuwenden.
Jegliches Bildmaterial liegt auf einem Synology-NAS mit dem, wie ich finde, überaus passenden Hostnamen tetris
– 2x 4TB NAS-taugliche Platten, die Dauerbetrieb verkraften und nicht nach einem halben Jahr röcheln.
Diese beiden Platten bilden ein RAID, so dass effektiv auch nur knappe 4TB auf dem Netzlaufwerk nutzbar sind.
Die Idee dahinter: fällt eine Platte aus, kann ich sie hoffentlich rechtzeitig ersetzen – und erleide keinen Datenverlust.
Um die Syno einigermaßen zu schützen, hängt sie an einer USV. Die Idee dahinter: Datenverlust durch plötzlichen Stromausfall, Spontan-Crash und daraus resultierende Probleme möglichst vermeiden. Die USV behauptet derweil von sich, auch Überspannung abzufangen: somit ist das Netzlaufwerk, zumindest theoretisch, auch leidlich vor einem Blitzschlag gesichert – ob das funktioniert, musste ich noch nie ausprobieren 😇
Zudem achte ich auf die Laufzeiten der Platten in der Syno.
Die tausche ich regelmäßig aus – S.M.A.R.T.
kann hier unterstützend wirken.
→ An dieser Stelle sind die Daten also 2x vorhanden.
Nun kann ich es ja gar nicht oft genug wiederholen: Schwellwert ist kein Wort – und RAID ist kein Backup. Aber ihr hört ja nur in sehr unzureichendem Maße auf mich 🤨
Deshalb nochmal alle im Chor: EIN RAID IST KEIN BACKUP!!!1einself
Und eben weil das so ist, liegt griffbereit neben dem RAID eine 2,5”-Platte (die allerdings nicht für den Dauerbetrieb ausgelegt ist).
Die schließe ich bei Bedarf – mindestens einmal pro Woche – per USB an tetris
an und synce jegliche Änderungen darauf.
Da ich dieser Platte jedoch nicht weiter traue, als ich sie werfen kann, kommt zusätzlich NOTKOPIE
ins Spiel.
Dabei handelt es sich um eine weitere NAS-taugliche Platte – üblicherweise eine der noch lauffähigen, aber „zu alten“ Syno-Platten – die ich mindestens einmal pro Monat ins Platten-Dock stopfe.
Und dann selbes Spiel, rsync
ist mein Freund.
Beide Platten sind eindeutig beschriftet. Für beide Platten existiert eine Liste, in der ich den letzten Sync erfasse – das dauert keine Minute, hilft mir aber, den Überblick zu behalten. Mein persönlicher Albtraum sind unzählige Kopien auf wild verstreuten alten Platten, so dass ich im Endeffekt nie sicher sein könnte, was wo rumfliegt und ob ich nicht doch noch irgendwas konsolidieren müsste. Deshalb lasse ich diesen Zustand gar nicht erst eintreten.
Damit ist der Bestand auf diesen beiden Platten zwar nicht tagesaktuell – doch sollte die Syno in Flammen aufgehen, könnte ich mit einem Datenverlust der letzten ein bis zwei Wochen deutlich besser leben als mit einem vollständigen.
→ An dieser Stelle sind die Daten nun 4x vorhanden.
Doch wenn wir schon von „in Flammen aufgehen“ sprechen: wenn die Bude abfackelt, helfen mir weder RAID im NAS noch NOTKOPIE
in der Schublade.
Eine Möglichkeit wäre, NOTKOPIE
beispielsweise bei meiner Mutter zu lagern, doch ich kenne mich: ich würde nicht hinreichend oft aktualisieren.
Deshalb habe ich mich an dieser Stelle für ein verschlüsseltes Backup zu Backblaze hin entschieden.
Für meine Zwecke ist der Anbieter prima und passt ganz gut zu meinen Anforderungen.
Vorher hatte ich mein Zeug im Amazon Glacier, das war auch okay, wurde mir aber zu komplex – und auch zu teuer.
Während ich im Serverbereich üblicherweise auf restic
und rclone
setze, nutze ich auf dem Mac seit vielen Jahren Arq und bin glücklich damit.
→ An dieser Stelle sind die Daten also 5x vorhanden.
Es lohnt sind, die Kosten mal zumindest gaaanz grob zu überschlagen, um eine Vorstellung davon zu bekommen.
Ein CR2
meiner Canon hat ~27MB, ein DNG
der DJI ~50MB.
Es hilft mir, gedanklich grob „mal fünf“ zu rechnen.
Ein Drohnen-Foto schlägt demnach mit ~250MB zu Buche; vier solcher Luftbilder (beziehungsweise 6 bis 7 RAWs meiner Canon) kosten mich also schonmal 16 Cent an Storage.2
Das klingt nicht viel, aber so eine Handvoll Bilder ist ja auch nicht viel.
Oder wie viele Fotos schießt ihr so auf einem Ausflug, auf einer gezielten Foto-Tour, im Urlaub?
Bin ich paranoid? Vielleicht. Die meisten Menschen, die ich kenne, gehen das Thema jedenfalls so nicht an.
Meine Vorgehensweise folgt grob der 3-2-1-Regel, die interessanterweise nicht von einem Rechenzentrums-Nerd, sondern von einem Fotografen, nämlich Peter Krogh, konzipiert wurde. Sie besagt genau das: mindestens 3 Kopien der Daten, die auf mindestens 2 verschiedenen Speichermedien vorgehalten werden, und mindestens 1 davon außerhalb der eigenen vier Wände – und das gilt für Unternehmen wie Privatleute gleichermaßen. Bei der konkreten Ausgestaltung muss sich halt jeder für sich seine Gedanken machen; zum Beispiel wie schnell die Daten im Falle des absoluten Desasters wieder verfügbar sein müssen.3 Aber das würde den Rahmen dieses einen Blog-Artikels massiv sprengen – hier soll es ganz bewusst um nicht überlebensnotwendige Daten im privaten Kontext gehen.
Ich fasse es mal so zusammen: ich fühle mich beruhigter, denn ich habe ganz aktiv einiges in die Wege geleitet, um mein Material zu schützen und im schlimmsten Falle wiederherstellen zu können. Außerdem hat es mir – glücklicherweise ohne Brandfall – auch schon den Hintern gerettet. Und zuguterletzt: die Wege zum Rückspielen der Daten sind getestet, erprobt und für den Ernstfall – den Faktor „Stress“ sollte niemand je unterschätzen! – dokumentiert.
Beziehungsweise: die Dokumentation muss ich gerade mal wieder überarbeiten, was auch ausschlaggebend für die Idee zu diesem Artikel war.
Und so schließt sich der Kreis.
Wie sichert ihr eure Bildersammlung?
Versteht mich richtig: Experimente sind großartig, und einer der tollen Aspekte der Digitalfotografie ist ja eben, dass man so gut experimentieren und das Ergebnis sofort betrachten kann; ich finde eben bloß nicht, dass all das notwendigerweise aufbewahrenswert ist. ↩︎
Die Schätzung ist etwas pessimistisch. Aber streng genommen muss ich ja die Betriebskosten der Syno ebenfalls berücksichtigen, in Summe kommt das schon grob hin – und mehr als grob wollte ich ja gar nicht. ↩︎
Bei Amazons Glacier musste man damals den Download der Daten sozusagen „beantragen“, und es hätte dann bis zu 72 (?) Stunden gedauert, bis diese zur Verfügung gestanden hätten – keine Ahnung, ob das heute auch noch so ist. Für die private Fotosammlung? Völlig okay. Für die operativen Datenbanken eines KMU? Eben. It depends. ↩︎
Oktober 2007, es war meine allererste Urbex-Tour überhaupt und ganz schön kalt. Meine Mitstreiter hatte ich zwei Stunden zuvor erst kennengelernt – am Treffpunkt, an dem ich zu ihnen ins Auto stieg, um nach Belgien zu fahren. Unterwegs die SMS meiner Mutter, ob ich das wirklich für eine gute Idee hielte? Ja, ich war mir da ganz sicher. Die Fahrt dauerte eine Weile; der Fußmarsch durch den Ardennenwald war lang und umständlich. Mir fehlte jede Orientierung, und so stapfte ich, meine karge Ausrüstung schleppend, einfach mit den anderen mit. Und ich werde nie den Moment vergessen, als ich Château de Noisy das erste Mal durch die Bäume hindurch sehen konnte, sehen durfte…
Der verwunschene Wald, das verzauberte Schloss… Ich fühlte mich wie in einem Märchen. Und auch heute noch fühle ich genau das, wenn ich dieses Bild betrachte 🥰
Ein analoges Bild übrigens – 2007 besaß ich keine Digitalkamera, sondern verwendete verschiedene analoge. Meine Nikon F-301 zum Beispiel, mit der ich extrem gerne gearbeitet habe; für Schwarzweißfilme am liebsten die Voigtländer Vito II nebst manuellem Belichtungsmesser. Und so manch andere… Filme verknipsen, Filme zur Entwicklung schleppen, Negative einscannen – ich habe deutlich länger auf diese Art gearbeitet als der Rest der Truppe. Und auch wenn ich die Digitalkamera heute nicht mehr missen wollen würde: es war schon auch schön.
Erbaut ab 1865 im neogotischen Stil (und oh, wie ich ihn liebe! 🥰), diente es der Familie Liedekerke Beaufort vorerst als Sommerresidenz; späterhin bewohnten sie Teile des Anwesens dauerhaft. Im zweiten Weltkrieg wurde das Château zeitweise von deutschen Truppen besetzt. Es musste über die Jahre als Ferienwohnheim herhalten, als Veranstaltungsort für Seminare, als Filmkulisse. Doch die ambitionierten Pläne, es in ein Hotel umzubauen, scheiterten. An der Übernahme des denkmalgeschützten Châteaus durch die Gemeinde Celles schien die Familie kein Interesse zu haben – und seit Anfang der 90er Jahre stand das schon in den Jahren zuvor langsam herunterkommende Anwesen leer. Selbstredend – und wie es sich für einen Lost Place eben auch gehört – ranken sich viele Geschichten um diesen Archetypen eines „Spukschlosses“ sowie das umgebende Gelände: von dem Dachdecker, der während seines Einsatzes zu Tode kam; von einem Urbexer, der angeblich vom Uhrenturm fiel; von den geschickt versteckten Fallen in den Wäldern; von bewaffneten Bewachern; von Geistern im Allgemeinen und bösen Geistern im Speziellen. Was davon ist belegbar, was ist Fiktion?
1995 kam es zu einem Brand im Dachstuhl, woraufhin die Eigentümer alles, was noch von Wert war – beispielsweise Parkettböden und Marmor – demontieren und abtransportieren ließen. Nichts und niemand hielt den Verfall jetzt noch aktiv auf – einstürzende Seitendächer, ein weiterer Brand und Vandalismus in nicht fassbarem Ausmaß besiegelten den Untergang. Schließlich wurde Château de Noisy von der Denkmalliste gestrichen: 2016 begann, allen Gegeninitiativen zum Trotz, der Abriss, 2017 war er vollständig abgeschlossen.
Einerseits fand und finde ich das traurig, andererseits war es unumgänglich; zuletzt war es ein Trümmerfeld, gefährlich – und für die Besitzer vermutlich wenig mehr als ein Ärgernis. Der einstige „Glanz“ – sowohl im wörtlichen Sinne als auch jener besondere, der nicht allen zugänglich ist, der aber aus einem Lost Place-Foto ein wirklich gutes Lost Place-Foto macht – er war längst dahin.
Es gibt im Netz unzählige Seiten, die das Thema auf verschiedene Arten aufgreifen; und vermutlich kann ich nichts erzählen, das nicht schon 100x mal erzählt wurde. Insbesondere gibt es unzählige Bilder, bessere als meine. Einige wenige alte, auf denen erkennbar ist, wie schön die gesamte Anlage einmal gewesen sein muss; doch der Großteil des Bildmaterials (einschließlich meines eigenen 😇) widmet sich den unterschiedlichen Stadien des Verfalls, der – angefeuert durch Bösartigkeit und Vandalismus – unfassbar schnell voranschritt.
Doch wie ich in einem früheren Artikel bereits angekündigt hatte: ich baue alles links und recht dieses Blogs nach und nach zurück und packe relevante Inhalte genau hier hin.
Und der Bereich urbex
wäre unvollständig und würde sich falsch anfühlen, wenn genau dem Objekt, mit dem alles anfing, keine angemessene Würdigung widerfahren würde.
Schon seit dem 13. August friere ich. Ständig, eigentlich. Und diese Kälte hat nichts mit den Außentemperaturen zu tun, nichts mit dem Herbstanfang, nichts mit der aktuellen Wetterlage. Diese Kälte kommt von tief innen, und sie ist umfassender als alles, was ich diesbezüglich je erlebt habe. Es ist, als würde sie lodern – und ja, ich weiß, wie widersinnig das klingt.
Ich trage lange Ärmel, geschlossene Schuhe, den kuscheligen Loop – und ich friere. Ich mache mir einen heißen Kaffee, setze mich auf die Terrasse, mitten in die strahlende Herbstsonne – aber ich friere. Für die zu kurze, zu unruhige, zu einsame Nacht nehme ich mein Wärmekissen mit unter die Bettdecke; doch gegen diese Art von Kälte kommt es nicht an. Auch der Kaffee hat keine Chance, nicht die warmen Klamotten, die Decken, die Schals. Ich friere, ich friere einfach immer. Und manchmal habe ich Angst, dass mir nie wieder warm werden wird in diesem Leben.
„Vorletzten Monat“, so muss ich es jetzt schon sagen. Denn die Zeit steht nicht still, auch wenn es sich für mich so anfühlt. „Vorletzten Monat“, und ich kann es nach wie vor nicht fassen. Ich rechne immer auf irgendeine Art mit dir. Mit einem so typisch kurzen Anruf. Oder einer dieser unvergleichlich-großartig-kontextfreien Handy-Nachrichten. Während da draußen sich wundert, dass es mir immer noch nicht besser geht.
Da draußen ist gnadenlos. Da draußen erwartet von mir das Aufstehen mit dem Weckerklingeln – auch wenn ich doch zwei Stunden zuvor überhaupt erst eingeschlafen war. Da draußen erwartet von mir die Einhaltung von Fristen – auch wenn ich zeitweise nicht weiß, welches Datum und welchen Wochentag wir haben. Da draußen will mich wieder fröhlich sehen, das ist bequemer, will, dass ich mich melde, denn irgendwann muss doch auch mal gut sein. Da draußen fordert wie eh und je – nur dass ich halt nicht liefern kann.
Ich habe keine Energie, mich zu erklären. Da draußen versteht mich einfach nicht. Und ich hab keinen Bock auf ein da draußen, in dem kein Platz für Trauer ist. Denn trauern ist Liebe, und das heißt ja dann, dass da kein Platz für Liebe ist. Wozu also?
Ich war nach vorne gebeugt, mein Gesicht nah an deinem. Ein Pfleger betrat den Raum – ich kannte ihn nicht, nur wenige Leute des Personals habe ich mehr als einmal gesehen. Ein Kommen und Gehen, und oft zu anonym. Der Pfleger begann zu sprechen, und wir schauten gleichzeitig hoch, schauten zu ihm. Und er hielt inne, schaute von dir zu mir und wieder zurück, schlug die Hand vor den Mund und sagte – andächtig, ungläubig: „Oh Gott. Diese Ähnlichkeit.“ Dann sprach er mich mit meinem Vornamen an. Du hattest ihm, wie er sagte, von mir erzählt; und er erkannte mich, ohne mich je zuvor gesehen zu haben.
Sicher, mir war das auch vorher klar. Über die Jahre wurde unsere Ähnlichkeit nach und nach stärker – vor allem, als mein Gesicht schmaler wurde. Außenstehende fanden das immer schon spannend, nahmen es viel stärker wahr als wir. Es ist keine Überraschung, eigentlich. Und doch trifft es mich nun, wie ein Faustschlag trifft es mich, immer wieder.
Vor allem, wenn ich das Haar zurückgebunden trage; morgens, noch im Halbschlaf, nachdem ich mir das Gesicht gewaschen und abgetrocknet habe, wenn mein Blick unvermittelt in den Spiegel fällt: wenn du mich anschaust. Deine Gesichtszüge. Falsche Augenfarbe. Die Illusion zerbricht. Und das tut weh bis dorthin, wo diese unfassbare Kälte herkommt. Das dringt mühelos durch alle Schichten, das tut weh bis zum Zusammenbruch.
Oh Gott.
Diese Ähnlichkeit.
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