Beobachtungen (Gastbeitrag $04)

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Heute meldet sich die Gastautorin Hannah Kraus alias aHeadwork zu Wort. Viel Freude beim Lesen!

Das Holz der Parkbank ist warm, drückt leicht gegen meine Oberschenkel, die im Sitzen viel zu weit auseinanderdriften - als hätte die Parkbank es darauf abgesehen, mich besonders fett aussehen zu lassen, was einfach nur unfair, aber auch irgendwie verständlich ist. Da steht sie, ganz friedlich, den lieben langen Tag in der Sonne und kriegt alle naslang einen Po ins Gesicht gepresst. Das ist wohl ihre Form des P(r)otests. Parkbankprotest, ein ganz exklusiver Club, den man wohl nur betreten kann, wenn man aus dem richtigen Holz geschnitzt ist. (Anmerkung meinerseits: Die Wortspiele waren nicht gut, Hannah. Nicht gut. Mach so etwas nicht nochmal. Wirkte irgendwie hölzern .. Verdammt.)

Die Sonne scheint und ich gehöre zu der Sorte Mensch, die mit Sonnenbrillen doof aussieht. Während Victoria Beckham es wenigstens schafft, wie ein großes magersüchtiges Insekt auszusehen, ist es bei mir wirklich nur das Attribut “doof” - was dann auch wieder irgendwie .. naja, halt doof ist. Ohne Sonnenbrille ist es hell. Sehr hell. Obwohl ich die Augen zusammenkneife, ist die Welt in ein unnatürliches Weiß getaucht. Die Farben verschwinden, verblassen, geben dem Weiß nach, dass sich von oben ergießt und eigentlich ist das gar nicht richtig, weil Licht ja von allen Seiten reflektiert wird und deswegen gar nicht nur von oben kommt – klingt geschrieben aber schöner.

Auf Parkbänken ist man unsichtbar. Vielleicht liegt das daran, dass sie bevorzugt von Obdachlosen zum Schlafen genutzt werden und Leute das einfach nicht sehen wollen, vielleicht aber auch an etwas anderem. Wenn der Tag zu schnell wird, die Menschen zu viel reden, ihre Stimmen viel zu laut in meinen Ohren dröhnen, suche ich mir eine Parkbank. Ich hab da keine großen Ansprüche. Aus Holz muss sie sein, weil Metallbänke irgendwie unsympathisch sind. Es muss genug saubere Fläche vorhanden sein, um meinem Po und - als Bonus - auch meinem Rucksack genügend Platz zu bieten. Schön wäre auch, wenn etwas Gras drum herum wächst, aber mehr braucht es dann auch nicht. Ich sitze und ich bin unsichtbar. Unsichtbar, weil ich sitze. Der Tag rauscht weiterhin schnell an mir vorbei, aber ich bin ausgestiegen, habe angehalten und nehme mir eine Pause. Ich atme und bin mir dessen bewusst. Ich blinzle gegen die Sonne an, beobachte die im Weiß verwischenden Gestalten, atme, blinzle. Ich bin. Ich bin an einem Ort, der für wenige Minuten nur mir gehört und obwohl ich sehe, wie die Zeit vergeht, vergeht sie doch nicht. Nicht für mich und nicht für die Parkbank, auf der ich sitze. Für einige Atemzüge teilen wir uns einen Moment, der ebenso gut ein ganzes Leben sein könnte und manchmal frage ich mich, was sie zu erzählen hätte, über die Menschen, die bereits auf ihr saßen. Über den Mann, der weinend auf ihr zusammengebrochen ist, vielleicht weil sein Kind im Weiß verschwunden ist und nie wiederkehrte. Über die Frau, die vielleicht schwitzend auf ihr niedersank, die schweren Einkaufstüten auf ihr abstellte und schnaufend nach Atem rang, ehe sie ihren Weg fortsetzte. Über das Mädchen - mich - das vielleicht (zu) naiv und unbefangen in die Welt hinausschaut und eine Erschöpfung und Traurigkeit ausstrahlt, die ihr noch gar nicht passt. Wie Kleidung, die in Größe Zero geschneidert wurde, um den Großen, den Stars, nachzueifern und in Wahrheit niemandem passt, sondern nur ein Symbol für die schwindende Ästhetik unserer Nationen ist.

Ich stehe immer im gleichen Moment auf. In der Sekunde, in der ich gedanklich an dem Punkt angekommen bin, an dem ich mich daran erinnere, dass ich gar nicht hören will, was die Parkbank über mich zu sagen hat.

Nicht, bevor ich nicht weiß, was ich über mich zu sagen habe.

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