Wütend

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Heute bin ich wütend, wütend auf die ganze Welt. So wütend, dass meine Hände zittern und ich alles durchdringend fixiere, was sich mir vor die Augen schiebt. So wütend, dass ich mich kaum konzentrieren kann, weil meine Gedanken ohnehin ihrem eigenen ausgetrampelten Pfad folgen. So wütend, dass ich am liebsten etwas kurz und klein schlagen würde.

Innerhalb von zehn Wochen zwei Verwandte auf den Friedhof tragen zu müssen ist mehr, als man mal eben so wegstecken kann. Eigentlich hat man da schon mehr als genug mit sich selbst zu tun und mit der Konzentration darauf, nicht vollständig durchzudrehen. Doch meist gibt es ja hilfreiche Mitmenschen, die einen von der aktuellen Trauer und den damit in zusammenhängenden Gedanken ablenken. Auf die eine oder andere Art. Und derer gibt es so einige.

Mancher versucht, die aufkeimende negative Grundstimmung durch schlichtes Negieren aus der Welt zu schaffen. Unsinn, du bist nicht traurig, lach mal wieder. Manche halten es für ungemein hilfreich, einen Familienstreit noch auf dem Friedhof anzuzetteln. Manche bequasseln dich, bis du meinst, du wärst besoffen: von den aktuellen Bildzeitungs-Schlagzeilen bis hin zu DSDS wird dir jedes Thema aufs Auge gedrückt, auch wenn Körperhaltung und Gebaren deinerseits mehr als deutlich machen, dass du darauf keinerlei Wert legst. Manche tragen penetrante Fröhlichkeit zur Schau, gepaart mit Haifischlächeln und – im schlimmsten Falle – Witzen aus der Konserve.

Nicht falsch verstehen: ich weiß, wie schwierig das ist. Wie hilflos man daneben steht, wenn andere in ihrer Traurigkeit unterzugehen drohen. Wie ohnmächtig man sich fühlt, wenn man die Tränen der anderen sieht, und weiß, dass man effektiv nicht helfen kann. Aber wo sind sie? Wo sind die Menschen, die dir „aufrichtige Anteilnahme“ wünschen – und das auch so meinen? Wo sind sie, die dir ein ehrliches „Kopf hoch“ wünschen? Oder die einfach die Klappe halten, aber dennoch für dich da sind?

Die das eigene Ego hintenanstellen und akzeptieren, dass es just in diesem Moment etwas höher Priorisiertes gibt als ihre eigenen Anliegen? Und vor allem: die, die es einem nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist? Die dir zu deinem Bündel an Gedanken nicht noch einen Packen negativer Gefühle obendrauf legen und dich damit dann ganz alleine zurechtkommen lassen?

Ohja, ich bin wütend, mehr als wütend. So wütend, dass ich keine Metapher dafür finde, wie wütend ich eigentlich bin.

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