10 Jahre

Diesen Beitrag schrieb ich 4 Jahre und 9 Monate zuvor; die nachfolgenden Ausführungen müssen heute weder genau so nach wie vor funktionieren, noch meiner heutigen Meinung entsprechen. Behalte das beim Lesen (und vor allem: beim Nachmachen!) bitte stets im Hinterkopf.

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

„Veränderung ist die einzige Konstante im Leben.“ – so ein typischer Glückskeks-Spruch. Doch wenn man plötzlich selbst davon betroffen ist, auf diese anstrengende und verwirrende und nicht alltägliche Art… dann rollt man nicht mehr mit den Augen. Sondern holt erstmal tief Luft.

Ich wollte immer bei meinem jetzigen Arbeitgeber arbeiten. Das war so ein geheimes kleines Ziel, das ich mir gesetzt hatte: irgendwann hast du es geschafft und arbeitest da. Einfach war es nicht und es dauerte, aber ich bin hartnäckig. Schließlich hatte ich mehrere Runden anstrengender Bewerbungsgespräche überstanden, einen Arbeitsvertrag in der Hand, den alten Job gekündigt – und mein erster Arbeitstag im neuen Job war der 16. Juli 2009.

Heute vor 10 Jahren.

Ich war glücklich. Richtig, richtig glücklich, ihr könnt euch das vielleicht gar nicht vorstellen. Was auch daran liegen mag, dass mein Job für mich nie einfach nur Job ist, ich hänge da drin – mit allem, was ich habe. Das ist üblicherweise gut für den Arbeitgeber, aber die Umstände müssen hergeben, dass es auch gut ist für mich. Ich stürzte mich mit Enthusiasmus in die Sache, wechselte nach ein paar Jahren aus dem Fachbereich in die übergreifende IT, und ich war weiterhin glücklich. Ich machte ganz viele und ganz unterschiedliche Dinge, und ich lernte – und lerne, BTW – jeden Tag dazu.

Die Erinnerung an dieses glückliche Gefühl von „Du hast es geschafft!“ und „Endlich am Ziel!“ ließ mich einer traurigen Tatsache aus dem Weg gehen: dass nur die Erinnerung daran noch da war, das Glücksgefühl selbst sich aber auf und davon gemacht hatte. Ich bekam eine Weile (inzwischen hab ich aber meine Faulheit überwunden und sie abbestellt) solche Karriere-E-Mails mit Business-Tipps und Ratschlägen der Insider, und die Liste des „Wann Sie Ihren Job kündigen sollten“ möchte ich um einen Punkt ergänzen, der irgendwie nirgends erwähnt wird: wenn man nicht mehr lächeln kann. Wenn einem buchstäblich das Lachen vergangen ist und es diesbezüglich keine realistische Chance auf Änderung gibt. Dann ist es vielleicht – hoffentlich – besser, eine neue Farbe in den Webrahmen einzuspannen, sogar nach zehn Jahren. Oder vielleicht auch gerade dann. „Weihnachten“, so prophezeite mir ein lieber Kollege, „spätestens Weihnachten wirst du dich fragen: warum hab ich das nicht schon viel eher getan?! Wirst sehen!“

Mentale Achterbahnfahrt beschreibt die letzten drei oder vier Monate am besten: ich hatte seit über zehn Jahren keine Bewerbungen mehr geschrieben, hielt mich mit meiner 30-Stunden-Woche und zwei jungen Kindern ohnehin für ziemlich unattraktiv. Aber hey, in 30 Stunden schaffe ich mehr als manch andere in ≥40! Also: Unterlagen suchen, Lebenslauf überarbeiten, und wie bringt man eigentlich die Teilzeit-in-Elternzeit-Geschichte da unter? Der neue Buchvertrag, Einladung zum Bewerbungsgespräch und Zusage für eine wirklich große Fotoausstellung, K1 hat Scharlach, Artikel für die iX und parallel Erarbeitung eines Ausstellungskonzepts (hallo Pascal!), Bearbeitung massiv vieler Fotos in kürzester Zeit, K2 hat Scharlach, Zusage für neuen Job und Verhandlung des Vertrags, Absage der Ausstellung aus nicht nachvollziehbaren Gründen (das gesamte Konzept für die Katz’!), Abgabe des iX-Artikels, Unterzeichnung des neuen Vertrags und Motorschaden am Auto, Kündigung des alten Jobs und der nächste iX-Artikel ist schon in der Queue – jetzt weiß ich, wo in etwa die Grenze meiner Belastbarkeit angesiedelt ist.

Schiss? Klar hab ich Schiss. Ziemlich oft sogar. Vor Hunden zum Beispiel und manchmal auch beim Exploren, vor allem wenn’s unter die Erde geht. Wenn ich meiner K2 zuschauen muss, wie sie Kopfstand auf einer Rutsche macht oder von gefühlt drei Meter hohen Bäumen springt. Ich hab Schiss vor Motten, auch wenn das nicht rational ist, und auch davor, aus einem 1000-Kollegen-Betrieb in einen unter-30-Kollegen-Betrieb zu wechseln, aus der Forschung in die Wirtschaft und in eine neue Jobbeschreibung. Ich kann nicht einschätzen, wie rational das ist. Aber ich liege meinen Kindern immer damit in den Ohren, dass Schiss haben völlig legitim ist, so lange man sich davon nicht aufhalten lässt – also muss ich da jetzt wohl Butter bei die Fische geben, hm? ;)

Ich will abwechselnd auf den Arm und meine Ruhe. Es ist sozusagen ein Lebenstraum, der für mich zu Ende geht, aber zumindest einer, der erfüllt ist: ich wollte dort arbeiten und ich habe dort gearbeitet. Sogar 10 Jahre lang. Und ab dem 1. Oktober werde ich ein neues Kapitel aufschlagen. Ich bin nicht unglücklich, wenn ich demnächst in hoffentlich etwas ruhigeres Fahrwasser gelange – dieses Laufen am Anschlag ist auf die Dauer doch ein bisschen anstrengend. So anstrengend, dass ich erstmals um Verschiebung einer Deadline gebeten habe (Hallo Alexandra! Vielen Dank für alles! ?). So anstrengend, dass an Schlaf nicht mehr zu denken war. So anstrengend, dass ich nicht mehr lächeln konnte. Jetzt steht erstmal der Urlaub an, und wenn ich statt zu bloggen endlich mal die Koffer packen würde, dann könnte ich auch diese Baustelle etwas entspannter angehen :D

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Hintergrundbild: Stillgelegter Eisenbahntunnel, 2019, 1500x 690px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten

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