Die Katze liegt entspannt auf der Hauptstraße und schläft
Die ersten vollen zwei Wochen in kompletter Zurückgezogenheit haben wir sozusagen hinter uns, die dritte neigt sich dem Ende zu. Niemand kann uns sagen, wie viele folgen werden.
Die Schulen bleiben bis zum 26. April einschließlich geschlossen, und auch wenn das ab heute noch knapp ein Monat ist vermute ich: dabei wird es nicht bleiben. Ich bin aber auch kein optimistischer Mensch und war es nie. Reden wir dann Anfang Mai nochmal drüber, ne?
Tja, wie ist die Lage? Ich bin nicht systemrelevant – schön, eine neue Schublade. Auf Parties oder in Clubs bin ich auch vorher nicht jeden zweiten Abend gegangen; ich war immer schon häufig zu Hause, denn Bücher und Artikel schreiben sich nicht von alleine. Aber es ist ein Unterschied, ob ich das tue weil ich es möchte oder weil ich es muss.
Hosenwitze. Ex-Twitter auf, Nachrichten an, rein in die Videokonferenz – Hosenwitze, beziehungsweise Witze über nicht existente Hosen, da Home Office. Witze über allgemeine Verwahrlosung, über „endlich nicht mehr schminken“ und „hurra, nie wieder BH!“ – haben sich wirklich alle immer nur für andere aufgehübscht? Das Ganze per E-Mail, per Ex-Twitter und – leicht zeitverzögert dann – per WhatsApp. Und immer wieder das Gleiche! Ich schweige aus Höflichkeit.
Führt zu erweitertem Rückzug auch auf diesen Kanälen, auch da ich mit der Halbinformationsflut dort überfordert bin. Stattdessen: einmal am Tag gezielt Nachrichtenseiten ansteuern und von hoffentlich vertrauenswürdiger Quelle die aktuellen Informationen einsehen. Der Umgang mit Ex-Twitter ist nicht leicht in diesen Tagen… Nutze ich es nicht, vermisse ich es und fühle mich zu einsam. Nutze ich es, staune ich über Leute, denen ich seit vielen Jahren folge und die in dieser besonderen Zeit nun so nerviges Zeug absondern, dass ich eigentlich sofort entfolgen möchte. Ich übe mich in Akzeptanz, wir haben es alle irgendwie schwer gerade, und jeder geht halt anders damit um.
„Home Office“, „Home Schooling“, das volle Programm – ich weiß übrigens durchaus an jedem Tag, welchen Tag wir gerade haben, besten Dank. Und ich kann mich auch der Meinung nicht anschließen, es gebe keine Unterschiede zwischen Wochenenden und -tagen – ganz im Gegenteil. In den sozialen Medien kursieren in großem Stil Anleitungen – was man „in der freien Zeit“ neu erlernen könne und so, und ich frage mich nur „welche freie Zeit?“, denn selten fühlte ich mich so sehr im Hamsterrad wie im Moment. Nett an den gegebenen Umständen ist hingegen das Wegfallen diverser Fahrtzeiten – ich fürchte, früher oder später wird das Auto nicht mehr anspringen, Standzeiten mag es nicht so gerne. Die Honda bleibt trotz frühlingshafter Sonne in der Garage, ich will das Risiko, den überlasteten Kliniken noch mehr aufzuhalsen, gar nicht erst eingehen.
Die grauen Kästen am Ende der Straße sind tatsächlich von der Telekom, und der Anschluß konnte erfolgreich auf 100Mbit aufgepumpt werden – nominell hat er die nun, de facto ist die Datenleitung aber so verstopft wie die Autobahn frei ist. Draußen ist es bei etwa 5°C zwar wunderbar sonnig, aber viel zu kühl und zu windig, als dass ich auf der Terrasse sitzen möchte. Fast alle Dreckwäsche hab ich gewaschen inzwischen – was dazu führt, dass die Schubladen überquellen und der Handtuchschrank nicht mehr zu geht… Offenbar basiert die Logik darauf, dass sich etwa 30% des Bestands vor der Waschmaschine trollen.
Hefe ist aus, seit mehr als zwei Wochen schon – frisch oder trocken, alles ist ausverkauft. Rossmann verkauft nur noch überlebensnotwendige Dinge, deshalb darf man trotz grundsätzlichen Vorhandenseins weder Nähgarn noch Nadeln noch Unterwäsche mitnehmen (die Regale sind mit Malerfolie und Absperrband gekennzeichnet), Dekolleté-Serum, Fußpeeling und Eischnee-Gesichts-Maske hingegen stellen kein Problem dar. Der Dieselpreis war die Tage mit 1.079 legendär niedrig, und das veranlasste die Freaks da draußen zum „Diesel-Hamstern“ – Kofferraum voller Kanister und so, „Für schlechte Zeiten, harr harr!“ Extrem viele Militärmaschinen sind in der Luft, die stören mich – sie klingen gruselig. Viele Geschäfte sind wie geplündert, das Gerenne um Klopapier ungebremst. Dabei gehört „Durchfall“ nicht einmal zu den Begleiterscheinungen einer Corona-Infektion? „SARS-CoV-2-Infektion!“ korrigiert ein Leser sofort, also alles wie immer. Nur irgendwie schlimmer, die Nerven dünner.
Was noch? Auf Diät gesetzt hab ich mich. Natürlich ist es relativ utopisch, in solch einer Zeit auch noch abnehmen zu wollen, aber das Gewicht zumindest zu halten wäre schon einmal ein erstrebenswerter Anfang. Und das nervt: weil ich jetzt merke, wie sehr mein Kopf sich jeden blöden Tag „wenigstens mit leckerem Essen“ trösten würde, und hierbei ist „lecker“ niemals auch nur annähernd „gesund“ oder „sinnvoll“ und überhaupt – es ist einfach der falsche Ansatz. Ganz im Sinne von „gesund“ habe ich im Wintergarten Sämereien vorgezogen, immer unter der Prämisse dass mein grüner Daumen schon lange verdurstet ist: nun hab ich vergessen, was ich da in die Töpfchen geschmissen hab und bin nun indifferent, ob ich dran knabbern oder es rauchen möchte.
Freitags mache ich per Jitsi die Dorfkneipe auf (#tabsvongesternnacht
), bisher war das eine sehr lustige Sache. Am letzten Schultag hatte ich in der Stadt eine Nintendo Switch erstanden, leider ist „Mario Party“ in keiner Weise mit der Frustrationstoleranz des großen Kindes kompatibel. Mit „Animal Crossing New Horizons“ haben wir jetzt allerdings ein Spiel, das sogar die Kleine abholt – Kirschen pflücken, Äste aufheben und Muscheln suchen. Etwas, worauf sie sich nun jeden Tag freuen, und spielen sie gerade nicht, so plappern sie aufgeregt von unserer Insel „Babyfonien“, was sie dort morgen ausprobieren wollen, malen Bilder von der Insel, schreiben Geschichten und Gedichte und träumen nachts davon 💚 Und auch ich bin froh, wenn ich damit ein bisschen abschalten kann, es ist ein Zeitverbrenner, ein 1A-Radiergummi fürs Gehirn. Ich brauche den gerade, und die Ablenkung brauche ich auch. Denn ich hab Angst, ohne Ende sogar. Solche, solche Angst.
Bleibt gesund.
Hintergrundbild: Die Saemlinge auf meiner Fensterbank, 2020, 1500x 690px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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