Für DrAlzheimer

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Er wartet, mehr oder minder geduldig und das schon seit Samstag. Irgendwie gehört es inzwischen dazu, dass ich unsere Touren hier auf meinem Blog festhalte, und auch „Darf ich das bloggen?!“ und „Du wirst Dich nächste Woche im Netz wiederfinden“ haben sich durchaus manifestiert.

Es war quasi „unser Einjähriges“, das wir vergangenen Samstag zelebrierten, bei dichtestem Nebel, der in Tröpfchen vom Himmel zu fallen schien. Mit Brezel und Schokoriegel. Und mit Kaffee – nun gut, für kleine Werte von Kaffee, aus dem leeren Becher konnte man locker die Zukunft vorhersagen. Und die besagte lediglich „mehr Nebel“…

Genau genommen fing es damit an, dass die anderen sich um 8h00 zusammenrotten wollten, ich mich aber strikt weigerte – ja, wir reden hier von morgens, und das an einem Samstag, einem arbeitsfreien Tag und Wochenende noch dazu! So wurde der Treffpunkt auf 9h00 verlegt (was die Abfahrt um 8h00 bei mir bedingte), und entsprechend zerquetscht erschien ich am ersten Treffpunkt: brummschädelig, geknickt wie ein mehrfach benutzter Teebeutel Jede Zelle meines Körpers lechzte nach Koffein, und zehn Minuten zu spät war ich auch.

Den zweiten Treffpunkt, von dem aus final mit allen Teilnehmern gestartet werden sollte, erreichten wir dennoch pünktlich. Fünf Personen, fünf Stative, mehr als fünf Taschen, diverse Brotdosen, Getränkeflaschen – und ein Kombi. Ja, man hätte mit zwei Autos fahren können, für mein persönliches Empfinden ziemlich Banane: wir sind keine 60, und so ein bisschen zusammenquetschen spart Ressourcen, zudem bleibt die Gruppe als solche zusammen, also: who cares. Merke: so wie ich denkt nicht jeder. Der Sommer war eine vergleichsweise karge Zeit für uns; jeder einzelne hatte viel zu tun, Haushalte wurden zusammengelegt, Renovierungen durchgeführt, und gemeinsam unterwegs waren wir bei weitem seltener, als wir uns das ursprünglich vorgenommen hatten. Und wie oft standen wir vor verschlossenen (zugemauerten/ von Hunden bewachten/ mit Nieten und Metallplatten zugetackerten…) Türen oder hatten mit anderen Unpässlichkeiten zu kämpfen (Objekt abgerissen/ Objekt wieder in Benutzung…).

Und nun das. So groß, so leer und unbeachtet steht das Kurhaus am Rande des Ortes. Die Kneippsche Wassertretanlage gammelt im Park, ein surrealistisch blaues Becken inmitten wuchernden Grünzeugs, angefüllt mit veralgtem Brackwasser. Der Nebel schien alle Geräusche zu dämpfen, das Gras am Hang: rutschig. Eine Brennnessel erwischte mich an der Wade, Brombeerranken trachteten mir nach dem Leben. Wir waren wohl unter den ersten hier; keine Graffities, die Scheiben – abgesehen von einigen Schießübungen, die jemand mit Metallkugeln vollführt hatte – unversehrt, teilweise Inventar vorhanden. Ja, es ließ sich erahnen, wie es hier einmal ausgesehen haben musste. Und ich vollführte einen Freudentanz, als ich Flyer mit Bildern entdeckte, die das Kurhaus in Betrieb und in seiner vollen Pracht zeigten.

Die Nikon, mein treuer Kumpel – Stunden hätte ich hier zubringen können. Ein Raum, ein Sofa, dessen Sitzkissen fehlen, in der Ecke: Dias, hunderte, und noch mehr – gerahmte Dias in Glas, solche jüngeren Datums in Plastik und Negative, stoßweise, achtlos über den Boden verteilt. Inmitten englischsprachiger Taschenbücher, Werbeprospekten und Zeitschriften. Ich hielt einige der Dias gegen das Licht: junge Gesichter, eine lächelnde Frau mit Kopftuch bei der Weinlese, zwei ältere Semester bei einer Wanderung durch den Hunsrück, ein tollender Hund nebst lachendem Besitzer, der die Leine achtlos in der Hand hält, ein Kind mit kuchenverschmiertem Gesicht. Die Aufnahmen müssen aus den 50er Jahren stammen, die abgebildeten Leute sind, zum Teil zumindest, wahrscheinlich schon lange tot. Wo sind die Nachkommen, interessiert sich niemand für diese Aufnahmen? Im Hinterkopf der klamme Gedanke: wird meine Bilder eines Tages ein ähnliches Schicksal erwarten?

Der Fahrstuhl hängt im Oberstock, die Tür gibt mit erschreckender Leichtigkeit nach. Die Wände sind lila, die Decke verspiegelt, ein Schrank steht darin und ein Schuh liegt daneben. Im Kühlschrank in der Küche sind noch Lebensmittel, in der Kaffeemaschine gammelt seit fast 10 Jahren ein Filter und hat eine ansehnliche Kultur entwickelt. Wir verließen das Kurhaus, zu früh, überstürzt; die nächste Station, ein seit einigen Jahren verlassenes Freibad, macht nachdenklich. Stimmen erwartet man hier, Wasserplantschen, Lachen und den Geruch von Sonnenmilch und Pommes Frites. Doch die Wasserbecken sind leer, aus den Stoßkanten wachsen kleine Bäumchen, es herrscht Totenstille…

Zu früh endete diese Tour und zu unvermittelt; eine einzelne Person sprengte die Gruppe, da ihr kalt war, sie Todesqualen in Sachen Hunger litt und was weiß ich nicht noch alles. Ich kann nur Vermutungen anstellen bezüglich der Frage, was das eigentlich gesollt hat, und genau genommen ist mir meine Zeit dazu zu schade. Meine Enttäuschung und Wut konnte ich allerdings irgendwann nicht mehr so recht verbergen.

Mein Dank geht an dieser Stelle an

  • DrAlzheimer: vielen Dank für diese nahezu perfekt geplante Tour und die Brezeln – ich fürchte, ich wäre sonst verhungert! Das nächste Mal sorge ich dann für Marschverpflegung, und wenn wir dann beide Kaffee mitbringen, reicht er vielleicht auch ein wenig länger ;)
  • den Fahrer: ich kann an Deinen Fahrkünsten nichts aussetzen ;)
  • den Zwitscherer: bist Du mit von der Partie meint man immer, es sei Frühling – und zu lachen gibt’s auch immer was ;)

In memoriam SCHWEjK: wir haben Dich und Deine unterdrückten Schmerzlaute vermisst :D Würdest Du bei einer anstehenden Hochzeit bitte am Kirchturm hochklettern und unterwegs immer mal wieder „AU!“ rufen?

Alle Bilder dieser Seite: © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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