Mission „rot“
Offenbar hat bei mir ein Umdenken eingesetzt – etwas hat sich verändert.
Frühjahr 2022
Ich glaube, es begann im Frühjahr 2022, bei einem extrem ausgedehnten (IIRC landeten wir am Ende bei 23km) Spaziergang am Rhein: ein Mann und eine Frau kamen uns entgegen, ein Paar vielleicht. Und nicht nur, dass ich die Frau unverhohlen anstarrte – als sie uns passiert hatten, starrte ich ihr auch völlig ungeniert hinterher. Sie dürfte Anfang oder Mitte 50 gewesen sein; sie hatte absolut hinreißende Beine, und sie trug einen roten, taillierten, ganz entzückenden Mantel. Der ihr akkurat passte, ihr schmeichelte, sie gekonnt in Szene setzte. Einfach alles an diesem Bild sprach mich an.
Wir unterhielten uns in Folge eine ganze Weile darüber – wie bemerkenswert diese Spaziergängerin wirkte, welchen Anteil der rote Mantel daran hatte. Sie stach aus der Masse hervor, und sie inspirierte mich.
Ich sichte seither Schnittmuster für Mäntel, wenngleich wenn ich mich noch nicht final für eines entscheiden konnte. Und ich entwickelte ein gesteigertes Interesse an der Farbe „rot“.
Sommer 2022
Liegt es am Alter, daran, dass ich älter werde? Liegt es an meinen Lebensumständen, die sich seit Monaten immer wieder dramatisch ändern und mich zu Bewegung zwingen?
Im Sommer begann ich mit der Restaurierung meines sehr alten Küchenschranks. Es war klar, dass ich mit Kreidefarbe arbeiten und mich in Richtung „shabby chic“ bewegen würde. Auch war klar, dass der erste Anstrich ein gedecktes Weiß sein würde; doch beim Farbanstrich war ich unsicher: vielleicht das Lichtgrau, das „zu allem passt“ und „an dem man sich nicht so schnell satt sieht“?
Und ja, es wurde das Lichtgrau, unter anderem – nämlich für die Regalbretter und die Rückwände des Schrankes. Für den Korpus wurde es „King’s Red“ – und das war mit Sicherheit eine Wahl, mit der niemand aus meinem engeren Bekanntenkreis gerechnet hätte.
Es wird noch ein wenig dauern, den Schrank final für „fertig“ zu erklären – der Teufel steckt aktuell in den Details, es wird noch einen eigenen Artikel dazu geben – doch ein deutlicher Hang zu „Farbe“ war plötzlich da. Und insbesondere zur Farbe „rot“.
Herbst 2022
So hatte ich mein geliebtes Kleid, meinen „DressCode“, bisher immer mit einer schwarzen Strumpfhose kombiniert.
Vor allem um „schwarz“ ranken sich ja diverse Leitsätze, die (wie ich glaube) die meisten von uns verinnerlicht haben: schwarz „passt zu allem“, es „streckt und macht schlank“. Man „hat sich auch nicht so schnell dran satt gesehen“. Es vereinfacht die Wäsche, wenn das lästige Farbsortieren wegfällt. Und schwarz entspricht (Strumpfhosen, Schuhe, Handtaschen, Mäntel,…) auch oftmals „der Konvention“. Last but not least: „man fällt nicht so auf“.
Und genau darauf hatte ich plötzlich keine Lust mehr. Plötzlich wollte ich nicht mehr permanent „unterm Radar fliegen“, den Mund halten, hinnehmen; plötzlich wollte ich nicht mehr „praktisch und pflegeleicht“ sein und „zu allem passen“. Die „rÖtEsTe Strumpfhose der Welt“ musste her; sogar auf den Schuhen sind – ebenfalls untypisch für mich – rote Rosen.
Und nein: ich kann mich nicht daran satt sehen. Irgendwann vielleicht; bis dahin sind Strumpfhose und Schuhe durchgelaufen. Weil ich sie ständig getragen habe. Und: zum Teufel mit dem Pragmatismus, fast alle Wäscheteile unbesehen miteinander in die Waschmaschine stopfen zu können! Meine Wäsche nach Farben zu sortieren, besondere Teile von Hand zu waschen und jedes Stück im Sinne maximaler Lebensdauer so schonend wie möglich zu behandeln: das ist für mich inzwischen ein Stück weit „self care“.
Winter 2022/2023
Die nächste Stufe ergab sich sozusagen von selbst: das folgende Nähprojekt, wiederum ein Kleid, sollte selbst das Statement sein.
- Projektzeitraum: Dezember 2022 bis Februar 2023
- Schnitt: „The 7 Dress“ von Stokx1
- genähte Größe: 5
- Stoff: Modal French Terry „deCODE“ von Swafing, terracotta
- Schnitt modifiziert: ja, Taillenweite modifiziert, rückwärtige Naht im oberen Bereich enger gefasst
Hatte ich für die Bewerbungsbluse noch den farblich neutraleren French Terry gewählt, fand ich nun den Mut für etwas mehr Signalwirkung. Das Projekt zog sich allerdings lange hin – in erster Linie deshalb, weil ich keine Lust hatte, das Schnittmuster vorzubereiten 🙈
Zufälligerweise passt die Handtasche von Harbour 2nd, die ich mir im Sommer im hohen Norden gekauft hatte, perfekt dazu – von wegen, Handtaschen müssten immer schwarz sein!
Frühjahr 2023
Und so fühlte es sich an, als könnten Meike, Constanze und Lindy in meinen Kopf hineinschauen, als ich las, dass sie die Aktion „Rotes Kleid“ ins Leben gerufen haben – ein Festival der Sichtbarmachung.
Start ist der 8. März – passenderweise der internationale Frauentag – und viele der Workshops sind sogar kostenlos. Schaut es euch an, macht am besten gleich mit. Und wer weiß, wer von uns jene Spaziergängerin irgendwo ist, die – ganz unbemerkt – eine völlig Fremde inspiriert und zum Umdenken anregt?
Ich werde in jedem Fall versuchen, dabei zu sein – das ist nicht einfach dieser Tage, die teils sehr fremdbestimmt ablaufen. Doch diesen starken Frauen zuzuhören, setzt so viel eigene Kreativität frei – deshalb hoffe ich sehr, dass es klappt 🥰 Ich freu mich schon total!
Taschen, Taschen! Dieses Kleid hat riesige Taschen! ↩︎
Hintergrundbild: Genaehtes Kleid auf Schneiderpuppe, 2023, 1500x 1500px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten