Getreide

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Ein Spaziergang im Sonnenschein, zwei moderne Kinderwagen – ein Kind schlafend, eines grinsend. Der Weg leicht abschüssig, Augen zukneifen gegen das ungewohnt helle Sonnenlicht. Ein Schluck Apfelschorle gegen den Durst.

„Guck mal“, sagt sie, „Weizen“. „Ist das Weizen?“, fragt er. „Weizen“, bestätigen die anderen – unverkennbar, wenn auch noch ganz grün.

Im Feld einzelne Halme von etwas anderem – „Hafer“, meint sie, „Unkraut“, sage ich. Wer hat recht? Die anderen wissen es nicht – wir nehmen den Halm mit, um ihn zu Hause zu verifizieren. Die meisten Felder liegen inzwischen brach; das sah vor 15 Jahren noch ganz anders aus hier. Nach einem halben Kilometer wieder ein bestelltes Feld: Roggen, da sind sich nun alle einig. Dennoch kommt in Halm in den Strauß, sicher ist sicher. Einige Meter weiter wächst Hafer, nicht angebaut, sondern als Überrest – sieht deutlich anders aus als der Unkraut-Halm, jetzt glaubt sie es auch. Und einer der Halme wandert in den Strauß, der fast schon vergessen im Gepäckfach des Kinderwagens liegt. Weiße Blütenblätter, gelber Stempel – „Kamille“, meint sie, „Margerite“, glaubt er. Aber Kamille ist kleiner, Margerite wahrscheinlicher, eine wird mitgenommen und das Kind damit am nackten Fuß gekitzelt. Beim Mais sind sich alle einig, aber es ist Futtermais – sollte man wissen ehe man hineinbeißt.

Der Spaziergang ist beendet, die Ähren und Rispen im Strauß hängen schlapp herab. Wir werden sie nicht verifizieren, denn unser Überleben hängt nicht davon ab, und schon die nächste Stunde bringt genug Faktoren, die uns ablenken. Wir müssen damit leben, dass wir im Ernstfall Unkraut essen würden. Oder aus Margariten Kamillentee zu kochen versuchten.

Irgendwie traurig.

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