Social Networking

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Ich bin seit 2005 bei openBC XING registriert. Ich habe einige Kontakte – Kollegen, Chefs und Teamleiter, aktuelle und ehemalige, und manchmal hat sich das, beruflich gesehen, als vorteilhaft erwiesen. Vor einigen Tagen habe ich dann von meinem Lieblingskollegen eine (nicht die erste) Einladung zu „Wer kennt wen?“ erhalten, und warum habe ich sie eigentlich angenommen? Langeweile? Neugierde?

Ich war noch keine zwölf Stunden registriert, schon wollten mich die ersten Leute in ihre Kontaktlisten aufnehmen. Ich hatte keinerlei Angaben zu meiner Person gemacht, kein Bild eingestellt – nichts. Eine verregnete Mittagspause nutzte ich dazu, mich dann einmal ernsthaft mit dieser Plattform zu beschäftigen, und ganz ehrlich: ich war mehr als erstaunt, eigentlich bin ich es noch jetzt.

Offenbar ist hier jeder registriert – jeder. Sogar Leute, denen ich nicht zugetraut hätte, dass sie eine Computermaus von einem handelsüblichen Toaster unterscheiden können. Das durchschnittliche Mitglied hat 130 Kontakte und mehr. Die überwiegende Zahl der Leute definiert Bücher als „Igitt“, „Ich kann nicht lesen“ oder „Was ist das?“. Die Masse an persönlicher Information ist faszinierend: viele nutzen den vorhandenen Raum bis aufs letzte Bit, und würden die Betreiber der Plattform Felder zu Angabe von „Lieblingsstellung“, „Verstörende Erlebnisse mit Gummi“ oder „Lieblingsdealer“ bereitstellen – ich bin mir sicher, auch die würden ausgefüllt werden. Und vermutlich wahrheitsgemäß.

Im Zuge dieser ganzen Datenschutzdiskussionen finde ich das interessant. Bei ICQ und GMX bin ich schon seit 1998 als männlich deklariert, Rentner mit einem Jahreseinkommen von <$3000, dafür aber in einem Haushalt mit mehr als acht Personen lebend, mit einer Vorliebe für Boxen, Jodeln und Buddhismus. Gemäß meiner diversen Profile spreche ich fließend Hindi, Farsi und Esperanto (das war ein Spaß, als mich tatsächlich mal einer auf Esperanto angechattet hat!), meine liebste Homepage war lange Jahre angeblich (!) unixsex.com (ich sehe gerade, die gibts inzwischen nicht mehr), und in den Kommentaren zu meiner Person ist lediglich vermerkt, dass ich allgemeiner Menschenhasser bin und nicht angechattet werden möchte. „Warum soll ich in so einem Profil denn lügen?“ fragte mich ein Internet-Newbie, als wir seine erste eigene ICQ-Nummer registrierten. Die verstörendere Frage ist aber eigentlich „Warum sollte ich es nicht tun?“.

Wozu dienen also diese Plattformen? Der Kommunikation, ganz klar. Aber Kontakt zu meinen Leutchen habe ich sowieso, da brauche ich keine Plattform zu. Neue Leute kennenlernen, okay – aber zu den 300, die ich ohnehin schon „kenne“ noch mehr? Kontakt zu ehemaligen Bekannten aufnehmen, hmmmm. Bei den meisten Ehemaligen hat es einen Grund, dass sie ehemalig sind. Und mir kann niemand erzählen, dass er die 300 Leute in seiner Kontaktliste wirklich kennt oder auch nur Kontakt zu ihnen pflegt. Also doch nur Schwanzverlängerung? „Ich hab die meisten Leute in der Kontaktliste“? Oder Gehässigkeit – „Hah, im achten Schuljahr hat er immer gelabert, er wolle Unfallarzt werden – und jetzt ist er doch bei der Müllabfuhr, ich hab’s ja gleich gewusst!“? Und dann natürlich die Fotos („Boah, ist die fett geworden…“) – manche Leute bringen Stunden damit zu, sich Bilder von Fremden reinzuziehen oder von Leuten, mit denen sie seit der Grundschule nichts mehr zu tun haben (wollen) („…genauso hässlich wie damals schon…“).

Auch Wikipedia konnte meine Fragen nicht klären:

„Globale soziale Netzwerke wie sie in Form von Onlinecommunitys durch die Verwendung von Sozialer Software entstehen, sind hinsichtlich ihrer soziologischen, kulturellen und politischen Folgen noch völlig unerforscht.“

Ich frage mich, was die Forschung hier ergeben wird; sonderlich positiv fühlt sich das Ganze für mich momentan nämlich nicht an.

„Daraus entwickelte er die Theorie, dass die Mitglieder eines sozialen Netzwerks maximal über sechs Knotenpunkte miteinander in Verbindung stehen („six degrees of separation“)“

Man sagt häufiger mal „Die Welt ist klein!“, aber ist einem die Tatsache auch wirklich bewusst? Offenbar kann man rennen, so schnell man will – man wird seine Vergangenheit niemals hinter sich lassen und immer wieder bei den selben Leuten enden. Denn, ganz gleich, wo man hinkommt – es ist schon jemand da, der von einem gehört hat, dem Einschlägiges berichtet wurde…

Oder sehe ich da nun zu schwarz?

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