Entwurzelt und verpflanzt
„Er ließ die Schlüssel geistesabwesend in die Tasche gleiten und sah zu, wie die Möbelpacker Kisten, Schränke, Kommoden und all die anderen Dinge ins Haus trugen, die sich in den zehn Jahren ihrer Ehe angesammelt hatten. Sie so zu sehen, von ihren angestammten Plätzen entfernt, beraubte sie ihres Wertes. „Nur ein Haufen Gerümpel in Kartons“ dachte er und empfand plötzlich Trauer und Niedergeschlagenheit – vermutlich das, was die Leute Heimweh nannten.“ – Stephen King, Friedhof der Kuscheltiere
Ich habe 16 Jahre lang in diesem Haus gelebt, wenn auch nicht am Stück. Ich kenne all seine Gerüche – im Wohnraum, im Keller, im Garten, unterm Dach. Ich kenne seine Geräusche und weiß jedes Quietschen, Rumpeln, Ächzen und Stöhnen einzuordnen. Ich finde mich mühelos im Dunkeln zurecht, ich „sehe“ dann sozusagen mit Ohren und Nase, ich muss mich nicht vorantasten. Ich kenne seine Macken, und ich weiß, was ich an ihm liebe. Die Entscheidung, an anderer Stelle ein neues Leben anzufangen, kam nicht über Nacht; für mich war es ein langer Weg, ein umfangreicher Prozess. Die Suche nach einem geeigneten Haus gestaltete sich denn ja auch eher schwierig. Und als es dann tatsächlich ernst wurde, fühlte sich alles irgendwie unwirklich an.
Makler und Eigentümer, Finanzberater und Bankangestellte, Notar und Finanzamt. Unterschriften, viele Unterschriften, die wir leisten mussten. Und dann schlichen wir an einem regnerischen Abend im November nach Schlüsselübergabe mit den Verkäufern plötzlich durch unser Haus – und fühlten uns wie die Einbrecher. Jeder rationale Gedanke spricht für diese Entscheidung. Und ich bin eigentlich auch stolz auf das, was wir hier haben. Ich sitze hier an meiner 25k-VDSL-Leitung (vorher hatten wir DSL-1500) und tippe diesen Artikel. Der Umzug war soweit organisiert und lief recht problemlos, und mit den Behördengängen sind wir fast durch… Glücklich sollte ich sein und erleichtert, froh und stolz und vielleicht ein bisschen faul.
Aber doch nicht traurig.
Aber es ist eine langjährige Beziehung, die ich aus rationalen Gründen beendet habe – und nun habe ich Liebeskummer. Ich bedaure. Ich vermisse. Ich weiß nicht, wie ich ohne. Ich weiß nicht, wie ich je wieder. Das volle Programm. Bis Ende der Woche haben wir das alte Haus vollständig geräumt, und ich putze dann ein letztes Mal durch – das Wohnzimmer, in dem wir, vor dem Kamin liegend, Schach gespielt haben. Das Schlafzimmer, in dem ich mein Neugeborenes auf und ab schleppte. Die Küche, in dem das Baby mit Reiswaffeln und Leberwurstbroten um sich warf, und all die anderen Räume, die ich mit Erinnerungen und Geschichten verknüpfe, mit Gefühlen und Gedanken. Dann werden wir die Schlüssel übergeben. Und dann möchte ich weder das Haus noch den Ort je wiedersehen. Ich möchte nicht sehen, was die Nachbesitzer damit machen, oder ob es vielleicht sogar verfällt.
Und noch weniger möchte ich sehen, dass Fremde dort glücklich werden, wo ich so gerne glücklich gewesen wäre.
Hintergrundbild: Nahaufnahme Gartenblumen, 2018, 1500x 690px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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