Immer nur eitel Sonnenschein?
Ich will gar nichts Schlechtes über Webforen sagen: sie können einem durchaus weiterhelfen. Und gerade in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt war ich ein ums andre Mal froh um Webforen, in denen die dämlichen Fragen, die mir selbst durchs Hirn schwirrten, bereits (mehrfach) gestellt und (mehrfach) beantwortet worden waren. Und doch, so scheint es, sind sie Tummelplatz für Trolle und Besserwisser – in Bezug auf technische Dinge wusste ich das, in Bezug auf weniger technische glaube ich es jetzt.
Offenbar ist es schwer verpönt zu sagen „mein Baby ist wütend“. Die guten Menschen dort, die liebevollen Mütter, sie werden es nicht müde zu betonen: ein Baby – und darunter verstehen sie Minimenschen von Geburt an bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres – ein Baby jedenfalls kann überhaupt nicht wütend sein oder genervt. Diskussionen zum Thema erübrigen sich von selbst. Bizarrerweise lesen die selben Mütter aus dem Lächeln ihres Kindes durchaus „Freude“ und „Wohlbehagen“, aus einem jämmerlichen und schmerzlichen Weinen „Bauchweh“ oder „Zähnchen“. Ein so kleines Kind kann also offenbar alles empfinden, aber Wut und Ungeduld angeblich nicht. Im echten Leben ist das Ganze noch einen Gang härter: es gibt vielerorts Einrichtungen wie „Still-Cafés“ oder „Müttergruppen“ – sie sollen vornehmlich dem Austausch unter Gleichgesinnten dienen, etwas Abwechslung und Entspannung bringen. In Wirklichkeit artet das Ganze oftmals in Wettbewerb aus – „Meiner konnte aber in dem Alter schon krabbeln“, „Wie, sie hat noch immer keine Zähne?“ und so weiter. Im Anschluss werden die Kinder nackend ausgezogen, auf die Waage gepackt und anschließend die Gewichtskurven durchdiskutiert. Gesprächsthemen fernab? Fehlanzeige. Ich saß mal stumm neben einer Gruppe junger Mütter, die sich über ihre Jobs unterhielten – alle waren Erzieherinnen. Eine richtete tatsächlich das Wort an mich, fragte, ob ich auch einen Job hätte (ja), fragte, welchen Job ich hätte (Systemadministrator), guckte verstört und meinte dann, ich sei sicher froh, da raus zu sein (nein), und damit war das Thema beendet.
Mein Baby hat überhaupt kein Problem damit, im Falle schlechter Laune besagte Müttergruppe zusammenzuschreien; es ist dann lauter als drei von den anderen zusammen, und früher oder später heulen die anderen Babies nicht selten mit. Das allerdings kann ich zum mütterlichen Schwanzvergleich nicht heranziehen: „Mein Baby kann lauter und mehr kreischen als deines!“ Schade eigentlich! Zu Anfang hagelte es Tipps, wie ich den Schreiattacken zu begegnen hätte – nicht, dass ich den „magischen Fliegergriff“ nicht auch schon ausprobiert hätte, das Problem ist nur: mein Baby hat, wenn es so schreit, kein Bauchweh. Es hat auch keinen Hunger. Es ist einfach nur angepisst, und man kann es ihm kaum recht machen. Hoppla, sowas darf man nicht laut sagen. Entschuldigung.
Warum ich da dann überhaupt noch hingehe fragt ihr? Ich frage mich das auch. Und die Antwort lautet: mangels Alternativen. Mein Bekanntenkreis ist klein, ich bin die erste mit Kind. Und ich kann euch versichern: den lieben langen Tag zu Hause sitzen, die Rassel-Raupe schwingen und eine Windel nach der anderen zu wechseln, das ist wenig abwechslungsreich. Es gab Tage, da war ich mir sicher, das bisschen Gehirn in meinem Kopf sei nur dazu da, meine Stirn am Einsinken zu hindern. Die einzige Möglichkeit ist rauszugehen, den Tag irgendwie aktiv rumzubringen, wenn auch allein. Die Möglichkeiten sind bei -12°C allerdings recht beschränkt, wie ihr euch sicher denken könnt. Noch schlimmer sind jene Umgebungen, in denen pausenlos am Baby rumgegrabscht wird: alle wollen es rumschleppen, fummeln ihm an den Händen herum, labern pausenlos auf es ein, drücken ihm Dinge in die Hände, grabbeln ihm auf dem Kopf herum, ziehen ihm das Däumchen aus dem Mund und behaupten, es (das Däumchen) gehöre ihm (dem Baby) überhaupt nicht, zerren an seiner Nase und behaupten sie (die Nase) sei jetzt weg… Wenn das Kind dann völlig überdreht ist und zu schreien beginnt wird das allenfalls als niedlich betitelt – und gnadenlos weitergemacht. Dass das Kind so vielleicht signalisiert, dass es seine Ruhe will? Fehlanzeige. Den Spaß mit der darauf folgenden unruhigen Nacht haben die ja dann auch nicht, den haben wir. Herzlichen Glückwunsch!
Ich schnappe mir jetzt mein Minimonster und mache es ausgehfertig: Minusgrade hin oder her, auf unseren Spaziergang wollen wir nicht verzichten! Und das solltet ihr auch mal tun – nach den ersten Minuten ist die Kälte vergessen.
Hintergrundbild: Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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